Hausverbot
Lebensmittel zu kaufen. Er hatte aber auch so gut wie gar kein Geld. Er bekam kein Bafög wie ich. Um Miete zu bezahlen, übernahm er hin und wieder irgendwelche dubiosen Jobs, aber sehr ungern. Weil sie nichts mit Kunst zu tun hatten. Er schlug sich halt so durch. Wo immer es nur aussichtsreich war, witterte er eine Chance, sich Vorteile zu verschaffen. Als Assistent von Jörg Immendorff hatte er eine Weile ein Auskommen, das muss aber noch vor meiner Zeit gewesen sein. Wenn er für Immendorff Farben, Pinsel und Leinwände besorgte, legte er den Einkauf so aus, dass für ihn nebenbei auch etwas Arbeitsmaterial kostenlos raussprang. James tat so, als könnte er alles. Frauen vertrauten ihm. Er bot ihnen kleine Dienste an, zum Beispiel Hilfe bei Trennungen. Dafür luden ihn die Frauen zum Essen ein, oder sie beschenkten ihn mit schicken Sakkos. Ich benutzte ihn als Schmieresteher, wenn ich die teuren Bücher klauen ging. Im Gegenzug befüllte ich seinen Kühlschrank mit den Alsterhausdelikatessen. Das bewunderte er an mir. Weil er selber nicht so dreist war. Ich wiederum wurde immer frecher, immer unvorsichtiger.
Nachdem ich eine Woche zuvor bereits zweimal am selben Tag die fünfte Etage geplündert hatte, hätte ich erst mal eine Pause einlegen sollen. Aber nein, ich konnte es nicht lassen. Ich war echt süchtig. Mich zog das Alsterhaus an. Ich war wieder dorthin gegangen. Als ich auf dem Rückweg den Fahrstuhl mit meinen vollen Tüten betrat, stiegen zwei Frauen mit dazu ein. Sie passten vom Aussehen nicht zueinander. Eine von ihnen war blond wie eine Eppendorferin. Die andere hatte kurze dunkle Haare und einen schwarzen Anzug an. Ich hielt sie für eine New-Waverin. Ich merkte sofort, dass die Frauen zusammengehörten. Wahrscheinlich weil sie keine Einkäufe dabeihatten. Kaum waren wir im Fahrstuhl, drückte die Eppendorferin so schnell es ging auf den Knopf für den zweiten Stock. Die Tür ging zu. Ich stellte meine Tüten wegen ihres schweren Gewichts auf dem Boden ab und drückte auf den Knopf fürs Parterre. Der Fahrstuhl hielt in der zweiten Etage. Ich hörte die bestimmende Stimme der Eppendorferin: Kommen Sie mit!? Auf Anhieb verstand ich die Situation, nahm die Tüten in die Hände und überreichte sie den Kaufhausdetektivinnen. Sie nahmen mir die Tüten freundlicherweise ab. Wir gingen zu dritt ins Treppenhaus des Alsterhauses. Dort befand sich ein kleines Büro. Die Eppendorferin schloss es auf. Die New-Waverin schaltete das Licht an. Die Eppendorferin leerte die Tüten aus. Die New-Waverin zählte die Preise der Produkte mit einem Taschenrechner zusammen. Die Eppendorferin sagte: Fünfhunderteinundzwanzig Mark und siebenundachtzig Pfennig. Wie viel Geld haben Sie dabei? In meinem Portemonnaie befanden sich tausend Mark. Ich trug stets so viel Geld mit mir rum, wenn ich meine Touren machte. Für den Fall, dass ich erwischt wurde. Dann wollte ich behaupten, dass ich ein Blackout gehabt hätte. Ich hätte zu zahlen vergessen. Aber in diesem entscheidenden Moment war es mir doch peinlich, so was zu sagen. Auch war mir das Geld für diese Geschichte zu schade. Ich merkte, dass ich mir eine Theorie zurechtgelegt hatte, die von der Praxis überholt wurde. Der Blick der Kaufhausdetektivinnen auf mich verriet, dass sie mir kein Blackout zugebilligt hätten. In meiner Vorstellung war Kriminalität mein Hobby. In der Realität sah ich kaum wie eine wohlhabende Promitussi aus Eppendorf aus, die für alle Fälle tausend Mark in der Handtasche hatte. Und wenn ich das Geld vorgelegt hätte, hätten sie es doch wohl als gestohlen einbehalten bis zur Klärung des Sachverhalts. Die hätten mir doch die Ware nicht gegen das Geld ausgehändigt, oder? Ich überlegte hin und her und sagte: Nicht genug. Daraufhin rief die New-Waverin die Bullen an: Anzeige wegen Ladendiebstahls . Zwei Polizisten holten mich ab. Zum Abschied sagte die Eppendorferin: Hiermit erteile ich Ihnen Hausverbot.
Auf einmal war ich vorbestraft. Dazu hatte auch der Eintrag bei der Schufa wegen Einlösung nicht gedeckter Schecks beigetragen. Das war dann nicht mehr lustig. Ich war schockiert. Ich war paralysiert. Ich war alarmiert. Was machte ich bloß für Sachen? Warum steckte ich meine ganze Energie in diese Stehlereien? Von welchen Teufeln war ich denn angetrieben? Ich bekam Angst, dass ich mein Leben vergeudete. Was für ein Alptraum! Schweißgebadet wachte ich auf. Die Klauperiode war vorbei. Der Überlebenstrieb siegte. Schluss mit
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