Hausverbot
und die Kommunisten. Die Polen kämpften schon seit jeher gegen die Teilung, die Unterdrückung, die Okkupation und für die Unabhängigkeit. Und kaum war ich nicht mehr da, machten sie plötzlich schlapp. Es kann doch nicht an mir und an den paar Auswanderern gelegen haben, dass die Polen auf einmal stagnierten. Ich fühlte mich dafür nicht verantwortlich. Diesen Schuh zog ich mir nicht an. Als ich 1981 nach Deutschland abgehauen war, blühte der Widerstand noch. Im August 1980 hatte die ganze Nation gestreikt. Sie demonstrierte, weil sie mit dem politischen System nicht einverstanden war. Die unabhängige Arbeiterbewegung Solidarność positionierte sich nicht nur entschieden gegen den Staat. Von Solidarność erfuhr die ganze Welt. Solidarność brachte den entscheidenden Funken hervor, der zur Auflösung des Kommunismus führen sollte.
Ich trank den Tee mit ›Sobieski‹ und taute langsam auf. Ich erinnerte mich an damals. Der Nationalstreik hielt seit Tagen an. Die öffentlichen Verkehrsmittel streikten auch. Ich trampte zehn Kilometer von Sopot nach Danzig, um aus Solidarität mit den Streikenden einen Blumenstrauß an das Tor der Danziger Werft zu stecken. Um die Werft herum campierten mehrere tausend Menschen. Ich hatte mich endlich durch die Menge zum Tor gedrängelt. Ich fasste es nicht. Das Tor war bereits übersät mit Blumen. Dabei hatte ich mir das mit den Blumen doch ausgedacht! Ein Teil des kollektiven Gedächtnisses gewesen zu sein überwältigte mein Gemüt. Über meine Wangen flossen Tränen. Sie tropften auf den Tisch in Antons Küche. Sie tropften auf den Tisch, den ich mir einst mit ihm geteilt hatte. Statt mich in die Arme zu nehmen oder mir wenigstens für die Tränen eine Schüssel hinzustellen, knetete Anton weiter seinen Teig, mit dem Rücken zu mir. Traurig und bieder. Armselig und piefig. Anton kam mir gerade so kleinbürgerlich vor. Ich fragte ihn nicht nach einem Taschentuch. Ich wischte mir die Tränen mit den Händen aus dem Gesicht, während Anton die Teigreste von seinen Händen abwusch. Er holte ein Nudelholz aus dem Schrank. Er begann den Teig auszurollen. Er schaute kein einziges Mal zu mir. Er sagte auch nichts. Er gab mir eindeutig zu verstehen, dass ihm das Plätzchenbacken wichtiger war. Unverschämtheit. Um die angespannte Situation zu überbrücken, erkundigte ich mich nach seinen Ikonen. Plötzlich blühte er auf: Ich komme mit dem Malen nicht nach. Ich habe gerade achtzehn Ikonen auf der Staffelei. Ich dachte: Na klar, in aussichtslosen Zeiten werden die Menschen orthodox . Jetzt stanzte Anton aus dem Teig mit verschiedenen Förmchen die Weihnachtsplätzchen aus. Er redete zu ihnen: Gut, dass du da bist. Am einunddreißigsten Dezember ist unser Scheidungstermin. Wenn du persönlich im Gericht vorbeikommst, könnten wir sofort geschieden werden. Weil sonst würde sich das Ganze um ein halbes Jahr oder länger verzögern, bis du den Scheidungsbescheid über die polnische Botschaft zur Stellungnahme geschickt bekommst. Kannst du zu diesem Termin am einunddreißigsten erscheinen? Schock. Das Leben in Polen war härter als jeder Schwanz. Hier wurde man sogar an Silvester geschieden. Ich war nicht hierhergekommen, um mich scheiden zu lassen. Die Scheidung interessierte mich einen Dreck. Ich stand auf und sagte: Mein Visum geht nur bis zum siebenundzwanzigsten. Treffe ich in den nächsten Tagen den Mann meines Lebens, bin ich bereit, das Visum zu verlängern. Ich muss telefonieren. Ich kochte innerlich. Ich schimpfte lautlos: Fuck off, Barfußhippie, Schürzenträger, Ikonenplagiator. Ich verzichte auf mein Hab und Gut, meine Klamotten, meine Tagebücher, meinen Kram. Die Relikte meiner Zeit mit dir spendiere ich zugunsten des Vergessens, du Arschtunte mit dem Wasserkessel in der Hand. Die ersten Anzeichen des Hasses auf den verlorenen Partner bahnten sich ihren Weg in die Freiheit. Gut so. Vier Jahre lang hatte ich diese lahme Gurke heroisiert, dieses Gestell auf zwei Beinen ohne Saft und Kraft. Ich guckte Anton zum letzten Mal an. Er interessierte sich nicht mehr für mich. Nach wie vor mit dem Rücken zu mir, schob er jetzt seine Weihnachtsplätzchen in den Backofen. Währenddessen erinnerte ich mich daran, wie oft ich es mit ihm in dieser Küche getrieben hatte. Auf dem Tisch, am Herd, am Waschbecken, am Fenster, im Stehen, im Sitzen, im Liegen. Anton hatte immer einen wahnsinnigen Ständer, wenn ich in seine Nähe kam. Diese Manneskraft hing mit der beachtlichen Größe
Weitere Kostenlose Bücher