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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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stattfand. Das Festival war das Highlight des Sopoter Sommers. Eigentlich war ich keine richtige Autogrammjägerin. Ich wollte bloß die Stars von Nahem erleben, die ich sonst nur aus dem Schwarz-Weiß-Fernseher kannte. Ich wollte ihren Glamour spüren. Das Häuschen, in dem sich das ›Sfinks‹ befand, kannte ich von damals. Es war nie öffentlich zugänglich gewesen. Eine Tafel am Eingang informierte darüber, dass es sich dabei um ein ehemaliges Krematorium handelte. Ich hatte mich davor immer gegruselt. Und jetzt sollte ich mit Andrzej da reingehen, in das Innere der Hölle. Das war mir nicht geheuer. Musik drang aus dem Häuschen. Die Eingangstür war verschlossen. Andrzej klopfte an die Tür den berühmtesten aller Morsecodes: dreimal schnell, dreimal langsam, dreimal schnell. Das Schloss ging auf.
    Leon öffnete persönlich die Tür. Ich traute meinen Augen nicht. Er war echt genauso wie auf den Fotos in den Zeitungen. Gerade auf dem Flug hierher hatte ich über ihn in der ›Przyjaciółka‹ gelesen, dass er wieder nach Sopot zurückgekehrt sei. Er hätte die letzten Monate in Berlin gelebt. Und jetzt stand er vor uns, oben ohne. Seinen rasierten Brustkorb übersäten runde Jesus-Christus-Aufkleber, solche, die vor Weihnachten überall für die Kinder auslagen. Auf dem Kopf hatte Leon eine purpurne Mitra an. Unten trug er ein Josephine-Baker-Röckchen. Anstelle von Bananen baumelten polnische Kabanossi daran. Wir mussten uns niederknien, an den Würstchen lutschen, die Augen schließen und den Mund aufmachen. Leon sagte: Leib Christi undlegte uns Hostien in die Münder. Wir durften wieder aufstehen. Leon fragte: Was wollt ihr trinken? Es gibt nur Wodka mit Wodka . Er lachte und steckte Andrzej seine Zunge in den Mund. O là là. Andrzej streichelte meine Hand, die seinen Po streichelte. Leon griff nach meiner anderen Hand und drückte sie zwischen seine Beine. Er hatte eine ordentliche Latte : Guck, wie scharf ich auf ihn bin, und er lässt mich nie ran . Dann mal rein mit euch in die gute Stube. Andi, wie heißt denn deine Süße? Andinahm meine Hand aus dem Schoß von Leon: Darf ich vorstellen, Lola aus Hamburg und früher aus Sopot, Leon aus Sopot und früher aus Berlin . Ich sagte: Leon, du siehst in echt genauso abgedreht aus wie in den Zeitungen. Wo hast du denn diese Papstmütze her? Leon nahm die Mitra hoch. Er hatte darunter keine Haare. Er setzte mir die Mitra auf den Kopf: Man kriegt so ein Ding in jedem Devotionaliengeschäft. Steht dir gut. Sei beschenkt. Schick mir dafür ein Stewardessenkleid aus Hamburg. Gibt’s bei Dolly Buster auf dem Steindamm in Sankt Georg. Ich brauche die Größe sechsundvierzig. Während er mit mir redete, malte er sich mit purpurnem Nagellack große Punkte auf die Glatze und das Gesicht. Er sah jetzt wie ein Pferdewindpockenkranker aus. Gleichzeitig erinnerte er mich an den extravaganten Leigh Bowery, der die Outfits des berühmten Boy George kreierte.
    Leigh Bowery war ein aus Australien stammender bildender Künstler, der gegenwärtig in London zur Kultfigur der dortigen Szene wurde. Auch Vivienne Westwood holte sich bei Bowery Impulse, während ihr Ehemann Malcolm McLaren sich nach den Sex Pistols auch Boy George unter seine Fittiche gerissen hatte. Bowery hielt sich für die Personifizierung der Kunst. In Deutschland und vor allem in Polen war er völlig unbekannt. Nur Böhmler hatte einmal über ihn gesprochen. Böhmlers Student Holger Hiller, der Sänger von Palais Schaumburg, hatte sich nach London abgeseilt, um eine Solokarriere zu starten. Er sollte dort in dem neu eröffneten ›Club Taboo‹ spielen, dessen Betreiber Leigh Bowery zwischen den Konzerten seine Kreationen aus Plüsch, Pailletten und Plateauschuhen präsentierte. Holger Hiller schickte Böhmler Fotos von Bowery und wollte wissen, ob es peinlich oder cool sei, sich auf Bowery einzulassen. Angeblich hatte Bowery bei seinen Auftritten immer wieder auf Deutsch gerufen: Ich bin die Kunst ! Böhmler behauptete, dass sich Bowerys Statement auf den Satz von Joseph Beuys bezogen hätte: Jeder ist ein Künstler. Das fand ich wirklich doof. Weil ich auf Bowery total abfuhr, während ich den Beuys auf den Tod nicht ausstehen konnte. Es kann sein, dass ich genau an der Stelle das Interesse am Studieren verloren und mich der Kleptomanie verschrieben hatte. Und jetzt stand ich plötzlich vor Leon, dem polnischen Leigh Bowery, und fühlte mich mit ihm seelenverwandt. Ich identifizierte mich mit ihm. Seit

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