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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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bestanden die Oblaten aus Acid. Ich hatte noch nie andere Rauschmittel außer Alkohol probiert. Bisher konnte ich an mir aber keine unbekannten Symptome feststellen. Außer dass ich jetzt geil wie tausend Russen war. Das lag aber wohl eher an der geballten Kumulation von Reizen: Petting mit Andi, Wirkung des Alkohols, Schlüsselerlebnis mit Leon, extraordinäre Partygäste in orgiastischer Stimmung. Ich nahm Andi mit aufs Klo. Als ich den Reißverschluss seiner Hose aufziehen wollte, merkte ich, dass er keinen Steifen hatte. Er schob meine Hand weg und sagte: Da geht gerade nichts. Ich hatte dir erzählt, dass ich einen Unfall hatte. Ich verstand nur Bahnhof: Was für ein Unfall? Andi knöpfte sein Hemd auf. Er hatte einen kleinen Beutel am Körper, in dem sich sein Urin sammelte. Aus seiner Bauchdecke führte ein dünner Plastikschlauch zum Beutel. Andi zog sein Hemd wieder an: Mein Schwanz ist im künstlichen Koma. Ich mache es dir anders. Zieh deinen Slip aus. Ich wollte nicht, dass er mich leckte oder mit der Hand befriedigte. Ich stand auf GeVau, auf Penetration, auf das Spiel der Organe. Außerdem war ich ziemlich schockiert. Ich fand die Situation jetzt peinlich. Ich sagte: Ich gehe erst mal tanzen. Ich schloss die Tür auf und ließ Andi allein. Der musste bestimmt seinen Urinbeutel leeren.
    Draußen fesselte Leon gerade eine glatzköpfige Braut ans Kreuz. Sie war nackt unter ihrem durchscheinenden, weißen Kleid. Leon hatte jetzt einen hellblauen Ganzkörperanzug aus Latex mit Kapuze und rosa Engelsflügeln auf dem Rücken an. Der Anzug betonte seinen athletischen Körper. Um die Hüfte hatte er sich einen schwarzen, langen, ausgestopften Lederpenis geschnallt, der im Winkel von fünfundvierzig Grad stramm nach oben stand. Mit roten Baumwolltüchern verband er nun die Augen und den Mund der gekreuzigten Jungfrau. Dabei bewegte er sich mal geschmeidig, mal hektisch im kopulierenden Akt. Jede seiner Zuckungen erfolgte exakt im Takt der industriellen Musik, die megalaut zu hören war. Ich kannte das Stück. Es war ›Jaruzelski‹ von der slowenischen Band Laibach aus ihrem Album ›Rekapitulacija 1980 – 84 ‹, veröffentlicht vom Hamburger Label Walter Ulbricht Schallfolien. Meine Vorwerkstiftnachbarin Bärbel, die über mir wohnte, war ein großer Fan von Laibach. Weil sie in den Sänger Milan Fras unsterblich verliebt war, drehte sie Laibach immer ohrenbetäubend laut auf und zwang mich zum Mithören. Auch mit Palais Schaumburg hatte sie mich auf diese Weise terrorisiert. Ich hatte damals die Musik von Laibach gehasst. Und jetzt liebte ich sie. Ich hörte dem Stück zum ersten Mal richtig zu. Es war eine Collage aus Straßenkämpfen, Sirenen, Schreien, Schlagzeug und elektrischem Sirren. ›Jaruzelski‹ kürte Leons zeitgenössische Interpretation der Marienbefruchtung zur politisch prekären Provokation. Ich bedauerte, dass ich keine Fotokamera dabeihatte. Ich versuchte, das alles hier mit meinem Gehirn zu scannen. Es klappte nicht. Ich hatte zu viel Alkohol intus. Andi war immer noch nicht zurück von der Toilette. Der brauchte aber lange. Vielleicht gab es Komplikationen mit dem Urinbeutel. Dieser Plastikschlauch aus seinem Bauch zur Blase war wirklich viel zu dünn. Madonnas ›Like a Virgin‹ ersetzte ›Jaruzelski‹. Die Leute tanzten plötzlich wie aufgezogen. Ich hatte jetzt eine irrsinnige Lust zu zeichnen. Ich spürte allmählich den Einfluss der Droge. Ich suchte nach einem geeigneten Werkzeug. Ich schaute mich nach passender Arbeitsfläche um. Ich peilte eine leere weiße Wand an. Ich beschloss, sie zu beschlagnahmen. Ich fand einen Eimer mit grüner Farbe. Ich öffnete ihn. Ich tunkte meinen Zeigefinger darin ein. Ich zeichnete den ersten Strich auf der Wand. Ich tunkte den Finger immer wieder in die Farbe. Ich zeichnete weiter und weiter. Niemanden interessierte das. Dadurch kam ich gut voran. Bald war die Form meines Vorhabens zu erkennen. Ein großes Kreuz mit einem erigierten Penis in der Mitte. Großer Applaus. Ich drehte mich um. Leon führte seine nächste Kreation vor. Alles, was er anhatte, war gelb: der kurze Pelzmantel aus Füchsen, die Strumpfhose, die Pumps, die Trophäe auf dem Kopf. Leon hüpfte und gackerte wie ein Huhn. Er zog mich von der Wand in die Raummitte, lief schnell um mich herum im Kreis und gackerte hysterisch. Partygäste lachten. Leon tauchte seine Hände in dem Farbeimer ein und stempelte sie ab, um mein Kreuz herum. Partygäste klatschten, Andi unter ihnen.

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