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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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wären wir nicht da. Gina hätte jede Minute losschreien können.
    Wir wohnten offiziell ja gar nicht im Afrikahaus. Da uns der Makler aus dem Schlaf gerissen hatte und wir nackt aus dem Bett gesprungen waren, warfen wir uns schnell weiße Arbeitskittel über die unbekleideten Körper. Wir hatten für solche Fälle ganz viele davon im Flur hingehängt. Sie dienten uns als Morgenmäntel, falls uns in frühen Stunden unerwartet Leute besuchten. Wir spielten dem Makler übertriebene Geschäftigkeit wegen der angeblich durchgearbeiteten Nacht vor. Unser Theater ließ ihn kalt. Er verordnete, die Pakete schleunigst zu beseitigen. James verteidigte sie als eine Kunstinstallation und beschimpfte den Makler als Immobilienhai, der von Kunst keine Ahnung habe.
    Am Tag darauf bimmelte es erneut um sieben Uhr morgens an der Tür. Unanständig. Bocklos zog ich mir einen weißen Kittel an. Wie bescheuert war das denn. Es reichte nicht, dass Gina meine Schlaffreiheit beeinträchtigte. Jetzt wurde ich schon den zweiten Tag hintereinander von irgendwelchen Leuten in aller Herrgottsfrühe geweckt. Die sollten mich am Arsch lecken, aber wirklich. Ich schaute durch den Gucker. Den Typen kannte ich von irgendwoher. Ich schloss die Tür auf. Vor mir stand der Telegrammbote. Er überreichte mir das Kuvert. Ich nahm es entgegen. Ich öffnete es. Ich las den Text. Ich rief: Oh mein Gott! Ich glotzte noch mal und noch mal auf das Telegramm. Ich versuchte zu verstehen: Mutter liegt seit gestern nach Schlaganfall bewusstlos in Akademia Medyczna. Vater. Ich verzweifelte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es holten mich die Geister, die ich rief. Ich heulte. Ich bedauerte mich. Ich überlegte. Ich entschied. Ich ging zum Hauptbahnhof. Ich telegrafierte: Bin mit Euch, kann nicht kommen, schicke Geld in ein paar Tagen. Lola.
    Mir waren die Folgen des Schlaganfalls meiner Mutter bewusst. Ich musste schnellstens meinen zehn Jahre jüngeren Bruder Romek nach Deutschland holen. Ohne meine Mutter drohten ihm Verfall und Niedergang. Er ging noch zur Schule, war aber dabei, jeden Moment abzudriften. Ich musste Romek auffangen. Im Angesicht des Todes wurden primär Frauen und Kinder gerettet. Gerettete Frauen kümmerten sich um gerettete Kinder, die das Leben aufs Neue erbauen sollten. Meine Mutter konnte ich nicht mehr retten. Sie war für mich längst verloren, weil sie sich auf meinen Vater eingelassen hatte. Sie war die Nelke im Kaftan des bösen Scheichs, mit dem ich nichts zu tun haben wollte. Ihr Gehirnschlag war die Folge des lebenslang viel zu hohen Blutdrucks. Nachdem sie siebzehn Schwangerschaften abgebrochen hatte und auch noch die achtzehnte loswerden wollte, verdammte sie ihr Gynäkologe, diese eine auszutragen. Ihre papierdünne, abgeschabte Gebärmutter sollte sich regenerieren. Romek kam als Frühchen zur Welt. Wahrscheinlich schwächelte er deswegen in der Schule. Nach seiner Geburt wurde meine Mutter operiert. Der Uterus und die Ovarien wurden ihr endgültig entfernt. Ihr Blutdruck stieg noch höher, statt niedriger zu werden. Sie verbrachte viel Zeit im Krankenhaus.
    Ich kümmerte mich um Romek und meine drei Jahre jüngere Schwester Beata, so gut ich das in meinem Alter nur konnte. Als ich mit siebzehn von zu Hause wegzog, kam Romek gerade in die Schule, während Beata kurz davor war, diese abzubrechen, wie damals unsere Mutter. Alles wiederholte sich, und es gab offenbar keine Chance auf Besserung. Ich sah mir diese Misere schon zu lange an. Ich wollte mich für meine Geschwister nicht aufgeben. Dafür lebte ich zu bewusst, war zu kritisch, zu gescheit und zu begierig darauf, zu überleben. Ich hatte zu früh zu viele Bücher gelesen. Ich musste mich selbst aus dem Sumpf herausziehen. Wenn mich auch das Schicksal mit keiner gerechten Kindheit beehrt hatte, dann wollte ich mich wenigstens mit einer selbst gestalteten Jugend beschenken. Bereits zwei Jahre zuvor hatte ich mich auf dem Kunstgymnasium in Gdynia beworben, ohne mich darüber mit meinen Eltern zu verständigen. Wenn es nach denen gegangen wäre, sollte ich genauso wie sie, gleich nach der Grundschule, arbeiten gehen. Ich hatte doch schon acht Klassen. Was wollte ich denn mehr? Ich war schon viel weiter als sie selbst gekommen.
    Romek war jetzt sechzehn und ging immer noch in die Grundschule. Er besuchte im Moment die siebte Klasse. Die dritte und die fünfte hatte er wiederholen müssen. Im Gegensatz zu Beata hatte ich bei Romek das Gefühl, dass er etwas schlauer geriet.

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