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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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Immerhin übernahm er für vier Stunden am Tag die alleinige Betreuung von Gina in seinem Teil des Ateliers. Diese Regelung hatte ich aber im Streit durchsetzen müssen. James tat am liebsten alles zusammen, was mir total auf die Nerven ging. Ich hatte das Gefühl, nicht ein Kind zu haben, sondern zwei. In den vier Stunden, die ich ohne das Kindergequake nachdenken durfte, entwickelte ich Überlebensstrategien. Ich wusste, dass es in Deutschland keinen Sinn machte, Kunstgewerbe wie damals in Polen zu betreiben. Man verdiente damit einfach nichts. Am Anfang meines Studiums am Lerchenfeld hatte ich ein paar Kommilitonen meine alten Fliegen und Schmetterlinge gezeigt. Niemand hatte sich auch nur annähernd dafür interessiert. Die dachten, dass das Zeug Tand aus China sei.
    Durch das Studium der modernen Kunst hatte ich Kontakte zu Gleichgesinnten. Die hatten natürlich mitbekommen, dass ich Mutter wurde. Sie brachten ihr Mitleid mit mir zum Ausdruck. Sie wollten selbst noch lange keine Kinder kriegen. Sie wollten ewig selber Kinder bleiben, wahrscheinlich weil ihre eigene Kindheit so schön war. Milena, eine fünfzehn Jahre ältere, kinderlose und bereits ein wenig etablierte Künstlerin, hatte allerdings tieferes Mitleid mit mir gehabt, weil ich ausgerechnet mit James ein Kind bekommen sollte. Sie schenkte mir zu Ginas Geburt fünfzig Mark und steckte mir, dass sie Jurorin bei der Hamburger Filmförderung sei. Sie fixte mich an, einen Antrag auf Produktion zu stellen. Daraufhin arbeitete ich mein erstes Zeichentrickfilmdrehbuch aus. Es handelte von dem polnischen Totengräber Grabowski, der sich auf einem deutschen Friedhof mit dem Verlust seiner heimatlichen Identität auseinandersetzt. Auf Milenas Anraten ergänzte ich meinen Antrag um eine persönliche Stellungnahme zum Thema Migration. Auf diese Weise hob sich mein Filmprojekt von den üblichen Trickfilmvorhaben ab, in denen meistens Geschichten von Haustieren erzählt wurden. Für das Drehbuch zeichnete ich fünfzig eindrucksvolle Filmszenen auf Dinadreiblätter. Für die ordnungsgerechte Antragstellung musste ich das Drehbuch in fünffacher Ausführung herstellen. Jedes Buch sollte fünfzig Fotos mit den Abbildungen der Zeichnungen beinhalten. Ich brauchte Geld, um die Fotos abziehen zu lassen. Das Projekt absorbierte meine gesamte Aufmerksamkeit, und ich konnte keine Jobs mehr nebenbei machen. Das Familienoberhaupt James war nun dran, die Kohle für die Produktion der Drehbücher zu besorgen. Weil er nichts konnte, wie er oft von sich selber sagte, fuhr er den Sperrmüll ab und sammelte in seine Schrottkiste Fahrradleichen ein, die er zu Hause dürftig reparierte, um sie anschließend über Kleinanzeigen zu verticken. Rechtsanwalt Paulsen musste das alles ja nicht so explizit wissen. Ja, ich studiere. Ich bekomme Unterhalt für mein einjähriges Kind und jobbe dazu , antwortete ich. Diese Angaben konnte ich irgendwie bescheinigen. Damit mein Anliegen in die rechtlich korrekten Wege geleitet werden konnte, musste ich sechs Vollmachten unterschreiben. Die Anwaltstussen baten mich, die Einkommensnachweise in den nächsten Tagen vorbeizubringen.
    James rächte sich wegen der Sauerei mit der sofortigen Kündigung. Er riss im ganzen Atelier die abgehängte Decke ab. Damit legte er die rohe Holzkonstruktion des Dachbodens frei. Das Atelier befand sich im obersten Stockwerk. James entfernte auch die Raufasertapeten von allen Wänden. Nun hielt er die Renovierungsarbeiten für abgeschlossen, für die uns der Makler drei Monatsmieten schenkte. Die Räume wirkten von da an sehr gewöhnungsbedürftig, um sie nicht als barbarisch und ungemütlich zu bezeichnen. Von dieser anarchistischen Raumgestaltung kriegte ich richtig Gänsehaut. James wiederum war stolz wie Oskar auf sich. Er meinte, das ästhetische Gegenteil von ›Ikea‹, ›Schöner Wohnen‹ und ›Neue Bürgerlichkeit‹ und damit sein Meisterwerk geschaffen zu haben. Er hasste Normalität und Spießigkeit wie die Pest. Er wurde geradezu rebellisch, wenn er sich am Tisch benehmen sollte. Da hatten wir was gemeinsam. Ich drehte auch durch, wenn man mich gängelte, maßregelte, tadelte, bevormundete, belehrte.
    James, der Regelbrecher, wickelte den gesamten Schutt von der Decke in circa fünfzig große, unförmige Paketbündel ein und stapelte diese im Treppenhaus. Daraufhin stand der Makler am nächsten Tag um acht Uhr morgens bei uns vor der Tür. Kurwa mać . Verdammte Nutte. Es war unmöglich, so zu tun, als

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