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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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Auch wenn er nicht der hellste aller Propheten war, liebte ich ihn sehr. Romek machte immer so viele Witze, über die ich sehr laut lachen konnte. Ich stellte mir immer vor, er sei mein kleiner Sohn. Deswegen musste ich ihn unbedingt aus dem Schlamm rausholen. Mein natürlicher Instinkt befahl es mir. Wenn ich mit James und Gina schon zwei Kinder an der Backe hatte, dann konnte ich auch gleich noch das dritte dazu adoptieren.

IX
    An einem lauen Sommerabend 1987 holte ich Romek mit Gina vom Bahnhof ab. Er war so groß, so erwachsen geworden. Er trug ein dunkles Sakko, ein weißes Hemd, eine schmale Krawatte, eine enge Jeans. Er sah toll aus, ein wenig wie John Lennon als Schurke. Ich freute mich sehr. Er nahm Gina sofort auf den Arm. Sie umarmte ganz fest seinen Hals und küsste ihn mehrfach, obwohl sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Gina war ein derart offenes Kind, dass man schon Angst um sie haben musste. Sie war eben ein Künstlerkind. Sie wuchs ohne Schranken auf. Sie wurde in ihrer Freiheit nicht durch eine niedrige Decke beengt. Diese hatte ihr Papa James rausgerissen. Gina schaute glücklich zu den Holzbalken in unserem Atelier auf, an denen ihre Schaukel dranhing. Sie gackerte. Es machte mir Spaß, sie so aufwachsen zu sehen. Meine Kindheitswunden verheilten mit jedem Lächeln von ihr. Sie streichelte Romeks Kopf, und wir plapperten alle drei auf Polnisch und waren eine entzückende Familie aus jungen Spunden im Ausland.
    Ich war so froh, dass es endlich mit Romeks Ausreise geklappt hatte. Die Formalitäten hatten über ein halbes Jahr gedauert. Noch einen Monat länger und Romek wäre in den letzten Jahrgang vor seiner Musterung reingerutscht. Man hätte ihm keinen Reisepass ausgestellt, weil er zeitnah zum Militärdienst gemusst hätte. Wir spazierten zu Fuß nach Hause. Ich zeigte Romek das schöne Hamburg. Er glotzte auf die Reklamen, die Neonschilder, die vorbeiziehenden Mercedes und BeEmWes. Er klimperte wie ein Irrer mit den Augen und sagte dauernd: Unglaublich, dass ich hier bin, unglaublich, wenn ich das meinen Kumpels erzähle! Ich dachte: Nee, Romek, so schnell wirst du deine Kumpels nicht wiedersehen. Das hier ist kein Spaß, kein Ausflug, kein Abenteuer. Das hier ist der Ernst des Lebens, der Kapitalismus in echt. Wer es über die Grenze geschafft hat, der soll die Finger vom Kommunismus lassen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. Was willst du da in Polen, wo sich niemand um dich kümmert? Du hast dort keine Zukunft. Deine Mutter ist fast tot. Dein Vater säuft sich tot. Deine Schwester schluckt Tabletten gegen Depressionen. Sie hockt daheim, ohne Beruf, mit ihrem Kind von einem Vergewaltiger. Ich lasse dich nicht dahin zurück, wo ich auch herkomme. Du wirst schön hierbleiben. Du wirst dich schon einleben. Ich helfe dir dabei. Ich werde mich um dich kümmern. Ich bin deine große Schwester. Ich lasse dich nicht verkommen.
    Romek trug Gina weiterhin auf dem Arm. Ich schob ihren Kinderwagen mit dem Koffer von Romek darauf. Er sagte: Ich habe schon eine Freundin. Ihr Vater ist Taxifahrer. Er hat eine fette Wolga. Wenn ich zurückkomme, will ich auch Taxifahrer werden. Da will ich mir aber einen Mercedes von hier mitbringen. Oha. Mein kleines Brüderchen offenbarte unternehmerischen Charakter. So kannte ich ihn gar nicht. Na ja, er war ja erst sechzehneinhalb. Da durfte er noch so naiv reden.
    - Du hast doch keinen Führerschein .
    - Da gibt es so Typen, die fahren einem die Kiste rüber.
    - Ich kenne keine Typen, die das machen. Womit willst du den Mercedes bezahlen?
    - Ich kann arbeiten. Weißt du einen Job für mich?
    - Was kannst du denn eigentlich arbeiten?
    - Vielleicht … Wände streichen …
    Mann, war der drauf. Er hatte sich echt verändert. Er gefiel mir überhaupt nicht mehr. Seit ich nach Hamburg gegangen war, hatten wir uns all die Jahre Briefe geschrieben. Ich schickte ihm Pakete mit Kassetten, Klamotten und Comics. Damit mein Vater das alles nicht sofort auf dem Flohmarkt verramschte, schrieb ich mit Filzer oder Pinsel und Dispersionsfarbe überall, wo es nur ging, Nicht zu verkaufen drauf. Meinen Vater machten diese entwerteten Produkte richtig wütend. Eines Tages bekam ich ein Telegramm von ihm, dass ich die Almosen für mich selber behalten sollte. Wenn ich helfen wollte, dann bitte schön höchstens mit Geld. Das hätte aber wirklich keinen Zweck gehabt. Seitdem meine Mutter wegen des Gehirnschlags nicht mehr auf den Beinen war, versoff mein Vater auch noch die Miete. Ich

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