Hausverbot
hatte schon Panik, dass sie alle alsbald auf der Straße landen würden. Wobei meine Sorge vor allem meiner kranken Mutter und dem minderjährigen Romek galt. Meine Schwester wohnte nicht mehr zu Hause. Sie lebte in einer stinkigen Abstellkammer ihres ebenso stinkigen Mackers, der sie mit siebzehn geschwängert hatte. Damals munkelte man im Stadtteil, dass der Typ wegen einer Vergewaltigung vorbestraft sei. Da sie nicht mehr zur Schule ging und auch keine Peilung hatte, wie sie leben wollte, entschied sie sich, Mutter zu werden. Oder der Macker hatte für sie entschieden, wer weiß. Ich hatte da keine Aktien drin. Mir war weder nach Kontakt mit meiner Schwester noch mit ihrem Stecher zumute. Die beiden waren echt nicht mein Niveau. Ohnehin hatte ich ständig Panik davor, dass aus mir genauso wie aus meiner Oma, meiner Mutter, meiner Schwester eine armselige Frau werden würde. Und mein Vater sollte nach seinem letzten beleidigenden Telegramm von mir aus verrecken. Ich überwies monatlich dreißig Mark auf das Konto von Arek, der in meinem Namen die Miete für die Wohnung meiner Eltern bei der Stadt in bar einzahlte. Für mich waren die dreißig Mark so viel, wie ich mir gerade leisten konnte. Tatsächlich wurde damit die komplette Miete für die Wohnung beglichen. Wahrscheinlich war aber auch das falsch, weil ich damit meinem Vater die Verantwortung abnahm. Ich wusste bloß momentan keine bessere Lösung. Immerhin hatte ich es mit dem Verschicken der Comic-Hefte geschafft, Romek zum Zeichnen anzustiften. Auch wenn er da keine Begabung hatte und wie ein Behinderter krickelte, hielt ich zu ihm, lieferte ihm postalisch Korrekturen und gab ihm neue Aufgaben. Er bekam von mir Fernunterricht in Kunst. Sozusagen. Ich schickte ihm auch Kunstalben und Fachzeitschriften aus meinem Kleptomanie-Fundus. Er wiederum schickte mir seine schlechten Zeichnungen mit bescheuerten Witzen, über die ich mich amüsieren konnte. Ich fand alles toll an Romek, weil ich in ihn abgöttisch vernarrt war. Ich bildete mir ein, dass er wie ich ein Künstler werden würde. Ich hatte mich so sehr bemüht, dass er zu mir nach Hamburg ausreisen durfte, und nun stand er vor mir und erzählte, dass er wie jeder gewöhnliche Pole einen Mercedes in die Heimat schieben wollte.
Ich sagte gar nichts mehr dazu. Es gab Wichtigeres zu tun. Wir zogen gerade aus dem Afrikahaus aus. Wir hatten einfach keine Kohle, um die verdammte Miete zu bezahlen. Wir wollten uns ganz dämlich arbeitslos melden, in eine Sozialwohnung ziehen und von der Stütze leben. So war jedenfalls der Plan. James, der Meister im Billigmieten, hatte eine Straße weiter zwei kleine Lagerräume klargemacht. Das größere Lager war im Erdgeschoss und maß knappe zwölf Quadratmeter. Da sollte unser Krempel rein. Darüber befand sich der winzige und dadurch wohl kuschelige Raum von erbärmlichen sieben Quadratmetern, in dem wir so lange übernachten wollten, bis uns die Behörde eine passende Wohnung zur Verfügung stellen würde. Mit Gina, Romek, James und mir waren wir von nun an eine vierköpfige Familie, der fünfundsiebzig Quadratmeter subventionierter Städtebau zustanden. Wir hatten auch Anspruch auf die sogenannte Hilfe zum Lebensunterhalt. Gina und Romek waren noch Kinder und konnten nicht arbeiten gehen. Ich musste mich um sie kümmern. Der Einzige, dem die Behörde irgendeine dumme Arbeit andrehen konnte, war James. Da er aber der Vater von Gina und deswegen mein Mann war, musste ihn die Behörde mit durchfüttern. Überhaupt, dass James endlich als der offizielle Vater von Gina anerkannt wurde, war erst vor ein paar Wochen schriftlich angekommen. Da stand es nun schwarz auf weiß, dass er den serologischen Test bestanden hatte. Ich war erleichtert. Es hätte doch wirklich sein können, dass ich von jemandem anderen schwanger gewesen war. Ich hatte zu der Zeit auch noch andere sexuelle Partner, irgendwelche unwichtigen Affären. Vielleicht hatte die ihm bescheinigte Vaterschaft James zu denken gegeben, und er hatte deswegen entschieden, dass wir aus dem Afrikahaus ausziehen und nicht zum zweiten Mal das Räumungskommando kommen lassen sollten. Tatsächlich hatte sich James bei der ersten Räumung vor ein paar Monaten total debil benommen. Er sollte ja als Untermieter auftreten. Stattdessen beleidigte er die ganze Räumungsmannschaft. Polizei musste kommen. Ich schaffte es gerade noch zu schlichten, aber so ganz ohne Folgen ging die Aktion nicht aus. Rechtsanwalt Paulsen wollte James in
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