Hausverbot
Mitmenschen entdeckte. Das hing mit den Exhibitionisten zusammen, mit denen ich als Kind zu tun hatte. Mein Heimweg von der Schule führte mich jeden Tag durch den romantischen Park Adama Mickiewicza, der an die gotische Oliwaer-Kathedrale grenzte. In dieser Kathedrale war ich getauft worden und hatte Erstkommunion gefeiert. Durch diesen Park war ich schon zum Kindergarten gegangen, und als Schülerin hatte ich jeden Donnerstag das in ihm gelegene Folkloremuseum im Opatów Palais besucht, da gab es freien Eintritt. Anschließend schlenderte ich langsam nach Hause. Manchmal setzte ich mich noch auf eine Bank hin. Ich las, zeichnete, machte Hausaufgaben oder dachte ganz einfach nach. Ich musste mich nicht beeilen. Meine Eltern kamen noch später von der Arbeit heim als ich. Es passierte hin und wieder, dass sich ein Mann mit Aktentasche oder Zeitung neben mich auf die Bank setzte. Er hielt mit einer Hand die Aktentasche vor sich, während er mit der anderen irgendwas in seinem Mantel suchte. Dachte ich. Oder er schlug die Zeitung auf und hielt sie nur mit einer Hand, da er mit der anderen aus seinen Klamotten was rausholte. Die Raschelgeräusche hörten nicht auf. Irgendwann schaute ich rüber. Da sah ich, wie der Mann seinen erigierten Penis in der Hand rauf und runter bewegte. Erschrocken packte ich meinen Kram sehr vorsichtig zusammen. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass ich was gesehen hatte. Ich verließ die Bank und trappelte im vorgetäuschten Normalschritt Richtung Ausgang. Ich war total schockiert. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass mich der Mann verfolgte.
Rechtsanwalt Paulsen klärte mich über meine rechtliche Lage auf.
- Als Einzelmieterin von Gewerberäumen haben Sie keine Chance, gegen die Kündigung anzugehen. Trotzdem würde es sich für Sie lohnen, es auf die Räumungsklage ankommen zu lassen. Der Fall würde vor Gericht verhandelt werden. Ungefähr drei Monate nachdem der Mietvertrag abgelaufen ist, würde bei Ihnen ein Räumungskommando vor der Tür stehen. Der Tag der Räumung würde vom Gericht bestimmt und zwei Wochen zuvor auf postalischem Wege kommuniziert. Um die Räumung zu vermeiden, müsste sich in Ihrem Atelier jemand aufhalten, dem Sie das Atelier untervermietet haben. Der muss nur den Untermietvertrag vorzeigen, dann geht die Klage von vorne los. Hätten Sie einen Untermieter? Wie ich sehe, ist das Atelier sehr groß. Nutzen Sie es alleine?
- Mit meinem Freund und unserer kleinen Tochter …
- Sehr gut. So ein Verfahren dauert oft bis zu zwei Jahren. So lange würden Sie den niedrigen Mietpreis behalten. Die Miete würden Sie auf ein Sonderkonto unter Vorbehalt überweisen. Ich beantrage für Sie erst mal die Prozesskostenhilfe. Sie steht Ihnen zu, wenn Ihre Einkommensgrenze nicht überschritten ist. Wovon leben Sie? Sie sind doch Studentin, oder?
Es war zu kompliziert zu erklären, wovon ich lebte. Dank des Vaterschaftsprozesses gegen Anton erhielt ich vom Jugendamt sechshundert Mark Unterhalt für Gina. Das Amt für Soziale Dienste bezahlte mir vierhundert Mark für eine Tagesmutter, damit ich meinen Studien nachgehen konnte. Um das Geld einzusparen, beschäftigte ich die Tagesmutter nur auf dem Papier. James und ich kümmerten uns einfach selber um Gina, und das fanden wir auch besser, als unser kleines Kind einer fremden Person anzuvertrauen. Dazu kriegte ich noch einhundertfünfzig Mark Kindergeld vom Arbeitsamt und einhundertfünfzig Mark Studiengeld von der Otto-Benecke-Stiftung. Auf mein Konto kamen monatlich eintausenddreihundert Mark, die aber kein Verdienst aus eigener, künstlerischer Arbeit waren. Zusätzlich kellnerte ich hin und wieder oder half als Ausstellungsaufsicht aus, bis mich die fiese Süßdorf nach dem Vorfall mit Gina nie wieder beschäftigt hatte. Meine Finanzen sahen gar nicht so schlecht aus, und ich wäre mit Gina ganz gut zurechtgekommen, wenn James nicht da gewesen wäre. Er hatte weder Einkommen noch ein Bankkonto. Was das angeht, war er echt punkig drauf. Deswegen hatte ich den Mietvertrag auch alleine unterschrieben. Was sich nun als vorteilhaft herausstellte. Wir immatrikulierten uns weiterhin am Lerchenfeld, obwohl wir dort nicht mehr studierten. Im Studentenstatus behielten wir die billige Krankenversicherung. James hatte weder Jobs noch sonstige Rücklagen. Ich fühlte mich wie das Familienoberhaupt. James bildete sich aber auch ein, ein solches zu sein, weil er für mich den Behördenkram erledigte.
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