Hausverbot
Gerichtsmedizin bleiben müsste. Sollte ich mich dafür entscheiden, müsste ich die Kosten für das Leichenhaus übernehmen. Diese könnte ich mir aber ersparen, wenn ich den Leichnam von Beata in der Feststellungszeit für Forschungszwecke freigäbe. Ich fragte, wie lange die Klärung dauern würde. Der Staatsanwalt sagte: Bis zu mehreren Monaten . Ich verzichtete auf die Strafanzeige. Der Staatsanwalt stellte mir eine Bestattungsgenehmigung aus. Und wie geht es weiter?, wollte ich wissen. Der Staatsanwalt drückte mir die Visitenkarte eines Bestatters in die Hand: Mit diesem Schrieb holen Sie sich beim Standesamt die Sterbeurkunde für Ihre Schwester. Dann rufen Sie diesen Mann an, er kümmert sich um Ihre Angelegenheit.
Sieben Tage lang drehte sich alles nur um Beata, die weder anwesend war noch jemals wieder auftauchen sollte. Der engagierte Bestatter gab mir eine To-do-Liste. Jeden der einzelnen Punkte zu erledigen dauerte meistens einen ganzen Tag. Weil der Film nicht in Deutschland, sondern in Polen spielte, wo nichts schnell und effizient, sondern alles langsam und umständlich lief. Und die Sache mit dem Priester nahm sogar zwei Tage in Anspruch. Es war nicht klar, ob Beata sich umgebracht hatte oder umgebracht wurde. Weil ein Selbstmord nicht ausgeschlossen werden konnte, wollte kein Priester eine Rede auf Beatas Begräbnis halten. Womöglich hatte sie ja im katholischen Sinne eine Todsünde begangen, die sie aber nicht mehr bereuen konnte, da sie bereits vorher verstorben war. Ihre Leiche sollte jedenfalls nicht in die geweihte Erde hinein. Ich sprach sogar am Diözesanamt von Oliwa mit dem obersten Kardinal, allerdings vergebens. Ich erfuhr, dass Beata keine Unbekannte für die Lokalkirche war. Die führte über sie sogar eine Akte. Das gab’s doch nicht! Beata starb tragisch und ruhmlos, besaß nach dem Ableben dennoch zwei Akten. Hut ab. Die Danziger Katholiken definierten ihre Existenz als die einer Bezirksprostituierten. Hey, das wusste ich gar nicht. Diese Information hielt ich für aufregend. Weil ich auch schon mal mit dem Gedanken gespielt hatte, meinen Körper für Geld anzubieten. Bloß bei mir war das nur so ein Kunstkonzept. Als Lola Love wollte ich auf Kunstmessen ein erotisch eingerichtetes Wohnmobil ausstellen, darin mit einzelnen Sammlern Sex praktizieren und ihnen dafür Zertifikate für teures Geld verkaufen.
Am Tag des Begräbnisses musste ich morgens um sechs Uhr dreißig in der Gerichtsmedizin den Leichnam von Beata identifizieren, damit er für die Bestattung freigegeben werden konnte. Ich schlief die ganze Nacht nicht. Ich wollte nicht zu spät kommen. Wie schon seit Tagen stand ich auch an diesem Tag unter dem Einfluss von Alkohol. Ich trug eine Sonnenbrille. James stützte mich. Gina hielt mich an der Hand. Wir warteten vor einer gelben Baracke mit garagenartigen Türen. Eine sechzigjährige Frau sprach zu mir.
- Mein Sohn ist da drin. Ich bin gespannt, ob ich ihn erkenne. Und von Ihnen, Vater oder Mutter?
- Schwester …
- Auch jung, mein Gott, was will der denn? Auch an Silvester?
- Ja …
Die Garagentür ging auf. Aus dem Inneren der Baracke nahm ich einen strengen Geruch wahr, den ich kannte. So ähnlich hatte es damals im Vorwerkstift immer vom Schlachthof herübergeweht. Unglaublich. Es roch hier nach verwestem Fleisch. Mir wurde übel. Ich schaute in den Raum. Ich sah einen Sarg mit einem aufgebahrten jungen Mann darin, der einen weißen Anzug trug, ein weißes Hemd, eine silberne Krawatte. Zwei Männer in verdreckten Schlachterkitteln standen links und rechts daneben. Der linke rief in unsere Richtung: Frau Kowalczuk? Die Sechzigjährige meldete sich. Der linke Schlachter bat sie einzutreten. Der rechte schloss hinter ihr die Garagentür zu. Ich nahm einen Schluck Whiskey aus meinem Flachmann. Fünf Minuten später ging die Tür wieder auf. Frau Kowalczuk kam heulend raus. Sie griff nach meiner Hand: Die Toten sind nicht erkennbar. Die haben ihm alles rausgenommen. Er war noch nie so dünn. Die Garagentür wurde geschlossen. Der rechte Schlachter kam aus einer Seitentür und winkte Frau Kowalczuk rein: Kommen Sie bitte, Sie müssen unterschreiben. Ein paar Minuten später ging die Garagentür wieder auf. Der Sarg war inzwischen geschlossen. Ein Leichenwagen fuhr rückwärts in die Garage. Der Fahrer im schwarzen Anzug stieg aus. Er öffnete die Hintertür. Die Schlachter schoben den Sarg in den Leichenwagen. Der Fahrer schloss die Hintertür, stieg in den
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