Hausverbot
dann zwischen ihr und mir. Beata heulte hysterisch rum, steckte sich die Geldscheine, die ich ihr gerade gegeben hatte, in die Strapse, zog sie wieder raus, schmiss sie in die Luft, versuchte meinen Vater zu umarmen. Der aber stieß sie zur Seite und beschimpfte sie als Nutte, die seine Gardinen nicht wusch. Ich sammelte die Kohle vom Boden auf, steckte sie Beata in den BeHa und bat sie nach Hause zu gehen, damit sie sich ausschlief. Sie brüllte was von einer Abtreibung, die man ihr nicht richtig ausgeschabt hätte, sie nähme Tabletten, sie hätte Schmerzen, sie müsse trinken. Ich versuchte sie zu beruhigen, da ohrfeigte sie mich plötzlich. Ich ohrfeigte sie zurück. Sie heulte, lief aus der Wohnung, knallte mit den Türen und kam nicht mehr zurück. Ihr emotionaler Ausbruch erinnerte mich stark an meine Mutter. Sie hatte sich früher genauso benommen, wenn sie Alkohol getrunken hatte und meinem Vater Szenen machte, worauf er sie grün und blau schlug, um Ruhe im Karton zu haben. Ich hatte diese Situationen damals zu oft erlebt. Mir kam das gerade alles so prollig, so wertlos, so überladen vor. Ich bedauerte sehr, dass wir hierhergefahren waren.
Am Heiligabend ließ sich Beata gar nicht blicken. Ihr Macker brachte die Einkaufskohle zurück und zischte sofort wieder ab. Eigentlich sollte es ein gemeinschaftliches Weihnachtsessen geben. Ich wollte mit Beata zusammen kochen. Mein Vater schlief betrunken neben meiner Mutter. Er hatte am frühen Morgen mit seinem Nachbarn eine Flasche Wodka in der Küche ausgesoffen und musste erst mal ausnüchtern. Ich besorgte in der Bar mleczny was zu futtern: Sałatka Jarzynowa, Barszcz, Bigos und Pierogi. Ich stellte alle Speisen sowie die Zitrusfrüchte und die Süßigkeiten aus Deutschland auf den Wohnzimmertisch. Ich schloss die elektrische Tannenbaumkrone an den Strom an. Etwas Weihnachtsstimmung kam in der trostlosen Bude auf. James half mir, meine Mutter in den Rollstuhl zu setzen, und dann ging er ins Bad, um die Kloschüssel auszuwechseln. Ich wickelte ein nasses Handtuch um den Kopf meiner Mutter, rieb ihre Haare feucht, kämmte sie und schnitt sie kurz. Ich reinigte das Gesicht meiner Mutter, ihre Ohren, ihren Hals, ihre Schultern, ihre Arme, ihre Finger, ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Muschi, ihren After, ihre Beine, ihre Füße. Ich schnitt noch die Nägel an ihren Fingern und Zehen. Ich zog meine Mutter an. Ich fütterte sie und hielt ihr ein Glas mit Tee hin, den sie mit einem Plastikschlauch einsaugte. James rief mich, um mir die neu eingebaute Kloschüssel zu präsentieren. Die war zwar sauber, aber leider viel zu hoch. Na ja. Das musste jetzt so bleiben. Ich schob meine Mutter im Rollstuhl aus der Wohnung raus. James und Gina trappelten mir nach. Wir verpissten uns ins Restaurant. Wir hätten auch Romek mitgenommen, aber er hielt sich ja sowieso die ganze Zeit außer Haus auf. Er musste alle seine Kumpels treffen. Er kam zum ersten Mal zu Besuch, seitdem er in Hamburg lebte. Die Kumpels wollten unbedingt wissen, wie das Leben im Westen vor sich ging und ob Romek schon Führerschein, Auto, Freundin, Wohnung und Job hätte. Bis auf die Wohnung hatte er davon nichts, dafür aber etliche Schulden beim HaVauVau wegen Schwarzfahren, beim Bafög-Amt wegen notorischem Schulschwänzen und bei der SAGA wegen nicht gezahlter Miete. Obendrein hatte er eine Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen einer Vergewaltigung. Diese hätte er wahrscheinlich auch abgesessen, wenn ich ihn nicht aus dem Knast rausgeholt hätte dank meiner Beziehungen zum Staatsanwalt Kuhlbrodt.
Romek lebte seit zweieinhalb Jahren in Hamburg und zog alle Register des asozialen Benehmens. Auch mich belog, betrog und beklaute er. Er war dauernd pleite, weil er keinen Bock hatte zu arbeiten. Falls er doch einen Job annahm, simulierte er schon nach zwei Tagen eine Krankheit. Weil ihn bereits alle Hausärzte in der Gegend kannten, ließ er sich psychiatrisch behandeln. Da Romek erst vor Kurzem achtzehn Jahre alt geworden war, hoffte ich, dass sich sein Verhalten noch ändern und er alsbald Ambitionen entwickeln würde, einen Beruf zu erlernen. Ich gab ihn noch nicht auf. Ich rief für ihn auch schon mal in Ohlsdorf an. Ich wollte ihm dort einen Job als Totengräber besorgen. Dabei erfuhr ich, dass es diesen Beruf im herkömmlichen Sinne nicht mehr gab. Wer auf dem Friedhof arbeiten wollte, der musste sich vorher zum Floristen oder Gärtner ausbilden lassen. Romek lehnte das ab. Er sei doch nicht schwul,
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