Haut aus Seide
ihre Nacht mit Andrew genauso fantastisch gewesen, wenn sie nicht dazu gekommen wäre? Hinterher ließ sich das unmöglich sagen.
Aber vielleicht war das ja überhaupt das größte Problem: Lela hatte zu viel geholfen. Béatrix würde niemals wissen, ob der Mut, den sie soeben an den Tag gelegt hatte, echt war. Sie würde niemals sicher sein, ob sie Andrew auch allein hätte gewinnen können. Lela hatte ihr ein Geschenk gemacht.
Doch es waren nun mal keine Geschenke, die sie brauchte.
Vier
Philip stand neben dem Fenster und nippte an einem dunklen deutschen Bier. Die schweren Vorhänge waren an die hundert Jahre alt und verströmten einen Duft, den sie niemals wieder verlieren würden: Damenparfüm, übel riechend, französische Zigaretten und mindestens drei Generationen Staub. Ihre Farbe war nicht zu beschreiben – nicht Creme, nicht Silber, nicht Rosa, sondern eine Mischung aus allen drei Tönen. Die Vorhänge verlockten ihn dazu, das Stofflager nach genau dieser Farbe zu durchforsten und dann seine Schneiderpuppe und die Nadeln herauszuholen.
Doch es war nur eine Verlockung, kein Verlangen, und damit kontrollierbar. Er wog lediglich die Möglichkeit in seinem Kopf ab, während er den spärlichen Mitternachtsverkehr auf der Avenue Foch beobachtete. Durch das dicke, alte Glas der Schaufensterscheibe glitzerte die Stadt fast märchenhaft. Komm raus zum Spielen! , rief sie. Hast du schon vergessen, wie viel Spaß du früher mit mir hattest?
Philip war sehr versucht, dem Ruf nachzugeben. Nachts hasste er seine Wohnung. Er mochte sie schon bei Tageslicht nicht sonderlich, aber nachts war es noch schlimmer. Denn dann wurden selbst angenehme Erinnerungen durch das Wissen, wie sie geendet hatten, beschmutzt. Jedes miese Detail war in der Presse breitgetreten worden. Die Reporter hatten seine gescheiterte
Karriere als Designer hervorgekramt, seine verdächtig vorteilhafte Ehe und den Altersunterschied zwischen ihm und Eve.
Und sie hatten ihre Liebhaber interviewt.
Philip nahm einen weiteren Schluck aus seiner Bierflasche. Auf vage, unangenehme Weise hatte er gewusst, dass es Liebhaber in ihrem Leben gab. Seit dem zweiten oder dritten Jahr hatte er es gewusst. Zunächst hatte Eve noch alles abgestritten, dann zugegeben, dass sie nicht anders konnte, und schließlich gefragt, wieso er sich überhaupt beschwerte, wo sie doch immer wieder zu ihm zurückkäme.
Um es ihr zu zeigen, hatte auch er sich ein paar Gefährtinnen gesucht, doch die Affären hatten grundsätzlich nur eine gewisse Müdigkeit und das Bedürfnis nach einer Dusche bei ihm hervorgerufen. Eve war die aufregendste Frau gewesen, die er je gekannt hatte – aufregend in jeder Beziehung – und gleichzeitig die beste Mentorin, die ein Mann haben konnte. Lelas Freund Andrew behauptete, Simon Graves hätte ihn zu einem Geschäftsmann gemacht. Nun, bei Philip war es Eve gewesen.
Sie hatte ihn gern geneckt, wenn er eine seiner Affären beendet hatte. » Maman kann es immer noch am besten, nicht wahr?«, gurrte sie dann und ließ ihre langen, roten Nägel über seine Brust gleiten. Manchmal war sie im Bett richtig grob zu ihm, doch Philip nahm das als Zeichen, dass er sie verletzt hatte und sie sich tatsächlich etwas aus ihm machte. Er hatte sich einfach viel zu sehr zu rechtfertigen, um die Ehe zu beenden. Hätte er sie verlassen, hätten die Leute gesagt, dass er sie nicht geliebt hätte und nur auf das aus gewesen sei, was er eben hatte kriegen können.
Für ihn war es nicht so gewesen, aber er fing langsam an zu glauben, dass Eve so gedacht hatte. Er legte seine Wange gegen das Fenster. Das Glas kühlte die erhitzte Haut. Was hatte Bea gesagt? Sie hat dich wegen deines hübschen Gesichts geheiratet. Und weil du den steinharten Schwanz eines Zwanzigjährigen hattest.
Ich habe mir nur etwas vorgemacht , dachte er bei sich. Dass seine Stieftochter das allerdings von Anfang an gewusst hatte, war noch demütigender als alles, was er in der Klatschpresse gelesen hatte.
Mit plötzlich steifer Hand stellte er das Bier auf der Fensterbank ab. Die Marke war weit von dem entfernt, was er als junger Mann oder gar mit Eve getrunken hatte. Ihr Stil war Champagner gewesen. Champagner mit Etiketten, die er trotz seiner guten Französischkenntnisse immer noch nicht richtig aussprechen konnte.
Er war in Gefilde geraten, die für einen Mann wie ihn eindeutig zu abgehoben waren. Hätte er auch nur ein Quäntchen Vernunft in sich, würde er ein paar Kumpel anrufen,
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