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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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einsam und ängstlich zumute wie noch nie in ihrem Leben. Sie dachte an das, was Mum im Steinbruchsee zu ihr gesagt hatte: Gib Acht auf dich. Das war keine sanfte Ermahnung gewesen, keine hingeworfene Aufforderung, vorsichtig zu sein, sondern etwas viel Direkteres. Es hatte bedeutet: Du bist auf dich allein gestellt. Also begib dich an die erste Stelle. Vor alle anderen. Jetzt sah sie klar und deutlich, was sie zu tun hatte. Nur noch eines war wichtig: Sie musste sich selbst schützen, musste um ihr Leben kämpfen.
    Caffery blieb noch eine ganze Weile da stehen, und als sie sein Gesicht betrachtete, seine Augen, in denen sich das Mondlicht spiegelte, dämmerte ihr langsam, dass er sie nicht sehen konnte. Sie hob eine Hand vor ihr Gesicht und bewegte sie hin und her. Er reagierte nicht. Sie schob die Zungenspitze zwischen die Zähne, beugte sich ein wenig vor und schaute ihm forschend in die Augen. Sein Blick war nicht auf sie gerichtet. Sie blieb mit erhobenem Kopf in der Hocke, stützte sich auf die Fingerknöchel und versuchte zu begreifen, was hier eigentlich vorging.
    Als er sich seufzend aufrichtete, war sie ganz sicher: Er wusste nicht, dass sie hier war. Er hatte seine Worte nicht an sie gerichtet, und wenn das, was er gesagt hatte, trotzdem einen Sinn ergab, war das Zufall. Aber das änderte nichts an ihrem Entschluss. Er drehte sich um und ging zum Gartentor. Sie atmete aus und ließ sich auf die Fersen zurücksinken, war entschlossen, konzentriert und völlig ruhig. Heute um Mitternacht würde sie Mandy und Thom die Überraschung ihres Lebens bereiten. Sie würden das Foto bekommen und noch mehr, viel mehr: Sie würde ihnen Mistys Leiche bringen. Sie, wenn nötig, in ihren Vorgarten legen. Flea würde sich keine Argumente, keine Diskussionen mehr anhören. Von jetzt an sollten sie selbst zusehen, wie sie aus diesem Schlamassel herauskamen.
    Um zehn waren die Kriminaltechniker abgezogen, und das Haus war leer. Nur am Tor stand noch ein Polizist; er wandte ihr den Rücken zu und wartete darauf, dass das Team der Tatortsicherung kam. Nach zehn Minuten wurde es ihm, wie vorhergesehen langweilig. Er setzte sich in seinen Wagen, wo er die Vorderseite des Hauses im Auge behalten konnte; er kam nicht auf den Gedanken, dass hinten noch jemand still unter den Bäumen lauern könnte. Er ahnte auch nicht, dass Caffery die Hintertür offen gelassen hatte.
    Sie war durchgefroren bis auf die Knochen, als sie sich steifbeinig aufrichtete und den Brennbohrer aufhob. Mit schmerzenden Gliedern schlich sie durch den Garten und durch die Hintertür ins Haus. Der Polizist mochte faul sein, aber einen Lichtschein in den Fenstern würde er bemerken; also zerrte sie drinnen die Maglite aus der Jacke, richtete den Lichtstrahl vor ihre Füße und schlich sich im Halbdunkel durch die Diele. Katzen strichen um ihre Knöchel. Alles im Haus war überzogen vom Fingerabdruckpulver der Spurensicherer, und ein seltsam narbiges Licht drang durch das zerbrochene Küchenfenster herein und warf lange Schatten auf die Wände. Am Fuß der Treppe sah sie sich selbst im Spiegel: das hellblaue Hemd und die Jeans, die sie vor einer Ewigkeit angezogen hatte, den Zylinder des Bohrers, den sie auf dem Rücken trug, und ihre tränenden Augen. Ihr Gesicht wirkte merkwürdig glatt und jung, wie weichgezeichnet vom Stress.
    Die Last auf ihrem Rücken wog schwer, und ihre Knie taten noch weh von dem Sprung aus dem Küchenfenster. Langsam stieg sie die Treppe hinauf und achtete darauf, die Wand nicht zu berühren. Sie dachte nicht an die verschlungenen Wege des Schicksals. Sie fragte sich nicht, was Caffery hier oben im Schlafzimmer getan haben mochte, als er ihre Bewegung unter den Bäumen bemerkt hatte. Sie dachte nur daran, dass sie fror. Und dass sie weniger als zwei Stunden Zeit hatte, um Thom das Foto zu bringen. Dann würde sich alles ändern.
    Sie leuchtete mit der Lampe an der Wand entlang zum Bett und zum Safe hinauf und erkannte, dass er offen war. Offen und völlig leer. Die Safetür gähnte ihr wie ein, weit aufgerissenes Maul entgegen - und sie begriff, dass in den nächsten zwei Stunden durchaus alles ganz anders werden konnte. Aber nicht so, wie sie es erwartet hatte.
     

69
    Zehn Minuten vor Mitternacht. Noch zehn Minuten. Flea trat auf die Bremse und hielt in der dunklen Straße an. Sie stellte den Motor ab und schaute zu Thoms und Mandys Haus. Es lag im Dunkeln. Die Vorhänge waren geschlossen. Nur das Licht über der Tür brannte.
    Schnell

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