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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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meiste Zeit tot gewesen. Wanderer hatten sie gefunden, draußen im Hügelland der Mendips, an der Böschung der Strawberry Line, einer stillgelegten Eisenbahnstrecke, die in viktorianischer Zeit für den Transport der Erdbeeren von den Feldern bei Cheddar benutzt worden war. Die Landschaft dort war hübsch; auf den Leinsaatfeldern blühte schon der Mohn, und darüber hing der Pollendunst. Aber an der Leiche war nichts Hübsches: Schon aus hundert Metern Entfernung sah man die Wolke von Fliegen, die darüber schwebte, und den dunklen Haufen aus Kleidern und Haut.
    Sie lag auf dem Rücken, gekleidet in einen auffallenden gestreiften Pullover, einen Rock und geblümte, von Laub bedeckte Doc Martens, und sie war bereits so weit verwest, dass ein paar Knochen durch die verfärbte Haut ragten. Flea leitete das Team beim Bergen der Toten. Sie wedelten die Fliegen weg, zogen vorsichtig an der Leiche, um sie aus den klebrigen Flüssigkeiten am Boden zu lösen, rollten sie in ein Leintuch und hoben sie in einen weißen Leichensack - mit dem Gesicht nach oben, weil sie es im Leichenschauhaus nicht ausstehen konnten, wenn die Toten bäuchlings eingeliefert wurden. Lucy Mahoney war eine kräftige Frau gewesen, und selbst im Zustand der Verwesung war es anstrengend, sie hochzuheben. Die Leute in den Schutzanzügen schwitzten; Flea sah, wie das Wasser in Strömen über Wellards Gesicht lief.
    Flea hatte Belobigungen für ihre Arbeit erhalten. Zweimal schon. Dabei war sie erst neunundzwanzig. Sie hatte große Angst, sie könne sie nur bekommen haben, weil sie eine Frau war, und sie sei auch nur deshalb Sergeant und Leiterin ihrer Einheit geworden. Und wegen dieser Angst neigte sie zum Überkompensieren ihrer zierlichen Gestalt. Sie quälte sich bis zur völligen Erschöpfung durch irrsinnige Trainingsprogramme, lief zehn Meilen am Tag oder stemmte bis tief in die Nacht hinein Gewichte - schwere Gewichte, wenig Wiederholungen -, und das Tag für Tag. Unter Wasser waren alle gleich. An Land musste sie zweimal so hart arbeiten, um mitzuhalten.
    Sie versiegelten den Leichnam in einem gelben Biogefahrensack - Größe XL, weil Leichen manchmal auf den doppelten Umfang anschwollen - und schleppten ihn eine Viertelmeile weit bis zum Treffpunkt; unterwegs hielten sie immer wieder an, um sich auszuruhen und die Seiten zu wechseln. Ab und zu hielt sie Ausschau nach Teleobjektiven außerhalb der Absperrung: Vielleicht warteten Reporter auf die Gelegenheit, sie und die Jungs zu fotografieren, von Kopf bis Fuß mit Körperflüssigkeiten beschmiert.
    Der Parkplatz stand voller Autos. Der Krankenwagen des Coroners war da - zwei Männer in grauen Anzügen mit schwarzen Krawatten standen daneben und rauchten -, und die Leiterin der kriminaltechnischen Abteilung, eine Frau in Jeans und einem roten Kanada-Sweatshirt, saß in der offenen Tür ihres Wagens und trank eine Tasse Tee. Flea half mit, die Trage in den Wagen der Rechtsmedizin zu schieben, warf ihr Atemgerät in eine kleine Rädertonne und ließ sich neben dem Mercedes Sprinter ihrer Einheit von Wellard mit Bleichlösung abspritzen, und erst dann fiel ihr noch jemand auf.
    Er stand mit einer Dose Red Bull in der Hand gleich außerhalb der Absperrung. Mittelgroß, schlank. Dunkles, kurz geschnittenes Haar. Vielleicht neun oder zehn Jahre älter als sie. Detective Inspector Jack Caffery von der MCIU. Als sie am Dienstagmorgen das letzte Mal zusammengekommen waren, hatten sie gemeinsam jemanden festgenommen. An diesem Tag war etwas zwischen ihnen passiert. Das wusste sie, und sie fragte sich, ob sie jemals darüber sprechen würden. Sie beobachtete ihn aufmerksam, als er sich unter dem äußeren Absperrband hindurchduckte und die Aluminiumtrittplatten der Spurensicherung benutzte, um zu ihr zu gelangen. Er humpelte nicht, wie sie es erwartet hatte.
    »Okay, Wellard, das reicht.« Sie schlug die Kapuze zurück, öffnete den Sturmreißverschluss ihres Anzugs und schob ihn herunter. Sie zog die Hände so aus den Handschuhen, dass diese in den Ärmeln hängen blieben, und schüttelte den Anzug von den Füßen. Ohne die Turnschuhe aufzuschnüren, rammte sie die Fersen hinein und stapfte quer über den Parkplatz. Ein paar Schritte vor Caffery blieb sie stehen.
    »Hey«, sagte er und betrachtete sie von oben bis unten. Sie wusste, was er dachte. Die feuchte Punkfrisur, die Hose, die an ihren Beinen klebte. Das verschwitzte graue T-Shirt. »Wie geht's?«
    »Gut. Und Ihnen?«
    »Auch. Schön, Sie ohne

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