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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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mich nachdenklich. Haben Sie sich schon mal gefragt, ob uns an dem Tag jemand entkommen ist? Als wir in diese leer stehenden Räume eingedrungen sind? Sind Sie sicher, dass wir alle erwischt haben? Dass da niemand die Chance hatte zu fliehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann's mir nicht vorstellen. Ich meine, da war ein Fenstergitter. Sitex, diese Stahldinger, mit denen man Gebäude sichert. Das war aufgebogen, aber nicht so weit, dass jemand sich da hätte durchzwängen können.«
    »Auch nicht ein Kind? Hätte ein Kind da rauskommen können?«
    »Ein Kind? Was hätte ein Kind in diesem Höllenloch zu suchen gehabt?«
    »Erinnern Sie sich an dieses Wort?« Er sah sich um, beugte sich dann vor und flüsterte: »Tokoloshe.«
    »Jaaa...«, sagte sie zurückhaltend. »Natürlich. Ich erinnere mich auch, dass sie jemanden verkleidet haben, damit er den Leuten eine Scheißangst einjagen konnte. Aber ich dachte, den hätten Sie.«
    »Nein. Der Kerl, den wir verhaftet haben, war zu groß. Zu groß für den Tokoloshe.«
    Flea begann zu lachen, aber als sie die Augen mit der Hand beschattete, um ihn besser zu sehen, begriff sie, dass er keine Witze machte. Sie hatte gehört, dass ein paar Leute in London, die dort in einem muti-Fall ermittelten, Geschmack an Afrika gefunden hatten und ihren Familienurlaub jetzt in Botswana und Ghana verbrachten, statt nach Margate zu fahren. Ihren Kollegen erzählten sie, sie bereiteten sich dort darauf vor, in Zukunft für Sicherheitsfirmen wie Kroll als Unterhändler bei Geiselnahmen zu arbeiten, aber in Wirklichkeit hatten sie sich in den schwarzen Kontinent verliebt. Vielleicht ging es Caffery genauso, und er hatte angefangen, an diesen Hokuspokus zu glauben. Sie hätte gern eine Bemerkung darüber gemacht, aber es gab ein ungeschriebenes Gesetz bei der Polizei: Du sollst einen Vorgesetzten niemals wie einen Idioten dastehen lassen. Also kniff sie die Augen zusammen und hielt den Mund.
    »Und noch etwas wollte ich Sie fragen«, fuhr er fort. »Eins haben sämtliche Zeugen übereinstimmend ausgesagt: Es kam aus dem Wasser, als wäre es dort untergetaucht gewesen. Ich möchte wissen, wie dieses Etwas es Ihrer Meinung nach geschafft haben könnte, diesen Eindruck zu erwecken.«
    Sie ließ die Arme sinken. Jetzt kapierte sie. Die Jungs hatten durchsickern lassen, dass sie einen Tiefenrausch gehabt hatte, und Caffery dazu angestiftet, sie zu verscheißern. War da noch jemand im Wasser in Steinbruch Nummer acht? Irgendein afrikanisches Monster, das da herumschwamm? Ja, natürlich. Sie verschränkte die Arme und starrte ihn gleichmütig an. »Sie müssen mich für unglaublich bescheuert halten.«
    »Was?«
    »Sie glauben offenbar, ich bin eine Vollidiotin. Sie glauben, ich tue nichts anderes als...« Sie ließ den Satz unvollendet, denn sie hatte Wellard entdeckt. Er war damit beschäftigt, die Gummistiefel mit dem Schlauch abzuspritzen, und hatte den Blick abgewandt. Aber wenn das hier ein Witz wäre, würde er sie aufmerksam beobachten. Grinsen. Und als sie wieder zu Caffery schaute, sah sie seinem Gesicht an, dass er sich nicht über sie lustig machte. Es war auch nicht sein Stil. »Oh«, sagte sie lahm. »Sie meinen das ernst, ja?«
    »Ja.«
    »Niemand hat Sie geschickt, damit Sie mich aufziehen?«
    »Womit denn?«
    »Schon gut.« Nein. Sie war an dem Tag fünfzig Meter tief getaucht. Zu tief für jemanden ohne Ausrüstung. Wellard hatte gesagt, die Oberfläche sei spiegelglatt. Es war eine Halluzination gewesen. Das kam bei einer N2-Narkose immer vor. Man sah allen möglichen Blödsinn, den die Phantasie so produzieren konnte. Und wenn Caffery sich plötzlich in einen wahren Gläubigen verwandelt hatte, dann hing das nicht mit dem zusammen, was sie gesehen hatte. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Es war nicht ihr Problem, sondern seins. »Na gut. Das ist Ihre Sache. Und meine Sache ist es, dafür zu sorgen, dass diese Leiche so schnell wie möglich in die Rechtsmedizin kommt.«
    Er nickte. »Können Sie mir vorher noch die Atemmaske geben?«
    »Sie werden nichts finden.«
    »Tun Sie mir trotzdem den Gefallen?«
    Sie zuckte die Achseln, ging zum Wagen der Taucher und holte zwei saubere Atemmasken heraus. Dann wandten sie sich dem Van mit dem schwarz getönten Fenster zu. »Private Ambulance« stand in gelben Lettern auf der Seite. Sie beugte sich hinein und zog den Reißverschluss an dem Leichensack auf. Ein paar Fliegen krabbelten heraus, dick und vollgefressen. Die Fliegen hasste sie

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