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Hautnah: Sinnliche Begegnungen (German Edition)

Hautnah: Sinnliche Begegnungen (German Edition)

Titel: Hautnah: Sinnliche Begegnungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie R. Nikolay , Sigrid Lenz , Denis Atuan , bonnyb . , Roland Lieverscheidt , Justin C. Skylark , Sara
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weiter.
    Ein LKW. Der bremste nicht mal für Rollator-Omas.
    Scheiße, der Typ war so gut wie platt.
     
    *
     
     „Hey! Bleib stehen!“
    Die fremde Stimme drang durch die Motorengeräusche und das Hupen. Hannes tauchte aus einer Ebene auf, die ihm bis jetzt Gleichgültigkeit versprochen hatte.
    „Bist du irre?“
    Die Stimme kam näher. Schönes Timbre. Nicht zu tief, nicht zu hart. Angenehm. Wieder hupte es, direkt vor ihm. Seltsam, den Fahrtwind der vorbeifahrenden Autos an den Armen zu spüren. Er machte ihm eine Gänsehaut.
    „Sag mal, geht`s noch?“ Die Stimme war ganz nah. „Willst du dich umbringen?“
    Eigentlich nicht, oder doch?
     Plötzlich legten sich Arme um ihn, manövrieren ihn entschlossen durch den Verkehrslärm. Sie waren warm. Rochen gut. Oder war es der Hals und das Kinn, die so dufteten?
    Irgendwo hinter ihnen keuchte Stefan näher. „Danke, dass du Hannes geholfen hast. Der Gurt hatte blockiert. Ich bin nicht rausgekommen.“ So wie seine Stimme bebte, stand er kurz vorm Herzinfarkt.
    „Kein Ding.“ Die fremde Stimme bebte auch. Aber es klang weniger nach Angst als nach Zorn. Es klang gut. Sie würde auch gut klingen, wenn sie vor Wut brüllte. Konnte der Besitzer dieser Stimme das nicht für ihn tun? Ihn anbrüllen und ihm mit der Faust dieses Gefühl aus dem Körper prügeln, das ihn zwischen herumrasenden Autos taumeln ließ? Das Herzrasen kam zu spät. Offenbar befand er sich bereits auf der anderen Straßenseite und damit in Sicherheit.
    „Hast du keine Augen im Kopf?“ Der Mann ließ seinen Arm um Hannes Schultern liegen.
    „Hannes ist blind“, übernahm Stefan das Antworten. Ja, blind aber nicht stumm. Aber wozu das aufkeimende Mitleid bremsen? Sicher bereute der Typ es schon, ihn angeschrien zu haben. Es wurde Zeit, dass er sich an Mitleidsbezeugungen seiner Mitmenschen gewöhnte. Kann ich dir über die Straße helfen? Suchst du  was Bestimmtes? Soll ich dich um die Hundescheißhaufen herumführen oder stehst du auf stinkenden Dreck an deinen Sohlen? Irgendetwas krampfte sich in ihm zusammen. In diesem Leben würde es sich nicht mehr entspannen.
    „Er ist blind?“ Das Hineinströmen der Luft in seinen Rachen hörte sich nach massiver Empörung an. „Und da lässt du ihn so einfach durch die Gegend stolpern?“ Die Arme griffen fester zu. Nicht so unentschlossen und ängstlich wie bei Stefan. Stefan hatte ihn in den letzten Tagen stets nur flüchtig und kurz berührt. Als hätte er Angst, ihn zu gängeln. Diesen Armen war es scheißegal, was er dachte. Das permanente Bedürfnis, alles abzuschütteln, was sich auf ihn legte, um ihm zu helfen, blieb aus.
    „Ich dachte, bei Blinden bilden sich die anderen Sinne besser aus.“ 
    Der Zorn vibrierte, war heiß. Er verlieh der Stimme etwas Konkretes. Als wäre sie die Person, stünde neben ihm und hielt ihn im Arm. Hannes versuchte sich einen Mann vorzustellen, zu dem diese Stimme passte.
    „Hören? Ahnen? Der siebte Sinn? Nie davon gehört?“
    Braune Augen, die ihn wütend anfunkelten.
    „Du hättest tot sein können!“
    Braune Haare, etwas zu lang. Er würde sie oft aus der Stirn wischen müssen. Die Geste dazu wäre ungeduldig aber nicht fahrig. Nach ein paar Augenblicken rutschten ihm die Strähnen wieder vor die Augen, bedeckten breite, schön geschwungene Brauen. Ob die Haarspitzen bis zum Kinn reichten? Ob sie ihn beim Sprechen kitzelten? Wie sprach er, wenn er nicht wütend war? Wie klang sein Lachen? Und wenn er zärtlich war ... wie klang seine Stimme dann?
    Stopp. Bis hierhin. Keinen Schritt weiter. Hannes ignorierte die bunten Lichtblitze, die sich in seinem Kopf ausbreiteten. Statt ihrer hätte er Häuser und Menschen sehen müssen. Mülleimer, den Zeitungsstand, dessen Geruch von warmem Papier mit Druckerschwärze zu ihm herüberwehte und Orangenaroma transportierte.
    Und er hätte diesen Mann sehen müssen, dessen Arm schwer und beschützend auf seiner Schulter lag. Seltsam dass es ihn nicht störte. Er war ein Fremder. Im Krankenhaus hatte Hannes nicht mal die Berührung der Ärzte und Schwestern ertragen. Jedes noch so kleine alltägliche Anfassen schmeckte nach Mitleid und Helfersyndrom.
    „Er ist noch nicht lange genug blind, um diese Fähigkeiten zu besitzen. Sein Therapeut sagt ...“
    „Stefan!“ Wenn er jetzt die rührseligen Geschichten des armen jungen Blinden ausbreitete, konnte er sich von dem letzten Stückchen ihrer Freundschaft verabschieden.
    Sein Ohr wurde von einem warmen Luftzug

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