Hautnah: Sinnliche Begegnungen (German Edition)
gestreift. Er roch nach Kaffee und unaufdringlicher Nähe.
„Wie ist es passiert?“
„Motorradunfall.“ Den rot glänzenden Lack des Audis würde er nie mehr vergessen. Er war das Letzte, was er gesehen hatte. Seit dem träumte er von dieser Farbe.
Der Mann atmete laut aus. „Dann frage ich mal besser nicht weiter. Ich liebe meine K 1300 GT. Kein Urlaub ohne sie.“
„Welche Farbe?“
Der Mann lachte. Es klang voll und spontan, nach Spott und echter Überraschung.
„Hast du deine Maschine nach der Farbe gekauft, oder warum fragst du sowas?“
„Ist sie rot?“
„Nein. Schwarz-silber.“
Seine Suzuki war dunkelblau gewesen. Alles ging. Nur nicht rot, nicht mehr.
„Bist du H. Veller?“ Ein Rest des Lachens haftete der Stimme immer noch an. „Dann wohnst du gegenüber von mir.“
H Punkt Veller. Hätte Stefan seinen Namen nicht ausschreiben lassen können?
„Dein Klingelschild ist etwas spießig. Der Billig-Klassiker aller Baumärkte eben. Aber was soll`s? Dich braucht es nicht zu stören.“
„Nein, ich werde es einfach übersehen.“
„Gute Einstellung für einen Blinden.“
Stefan schnaufte empört. Warum? Dieser Mann hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Ich bin übrigens Finn. Wenn du das nächste Mal das Bedürfnis verspürst, über die Straße zu gehen, sag mir Bescheid.“
„Willst du mir dann soufflieren, wann das Männchen grün ist?“ Scheiße, Finn war wie alle anderen. Mitleidgeschwängert und Gutmensch verseucht. Zum Kotzen.
„Nö“, kam es sehr gleichgültig und sehr nah an seinem Ohr. „Ich will nur rechtzeitig meine Kopfhörer aufziehen, dann höre ich wenigstens das Quietschen der Reifen nicht, wenn sie dich auf dem Asphalt verteilen.“
Saftiger Konter. Hätte ein Grinsen verdient aber Hannes war nicht nach Grinsen. Finn berührte ihn am Ellbogen und lotste ihn eine Stufe hoch. „Mach so was wie eben nicht noch mal. Jedenfalls nicht in der Zeit, in der du neben mir wohnst. Vor dem ersten Kaffee zusehen zu müssen, wie Sanitäter Hirnmasse von der Straße kratzen, ist schlecht für meine Kreativität.“
„Ist gut. Ich denke, er hat`s gefressen!“
Aha, Stefan konnte ja doch wütend werden.
*
Wie konnte man nur so hübsch und gleichzeitig so beschissen drauf sein? Klar, ein Unfall erschütterte aber hey, die Verbitterung dieses Mannes waberte regelrecht um ihn herum. Dabei sah er mit seinem markant geschnittenen Gesicht und den verwuschelten Haaren besser als jedes Covermodel aus. Vielleicht war er nicht breit genug und vielleicht störte sich der ein oder andere an dem leichten Knick auf seinem Nasenrücken. Aber die Vorstellung, dass sie während eines Handgemenges gebrochen worden war, hatte was Verwegenes. Wahrscheinlicher war natürlich, dass er als Kind einfach die Schaukel davor bekommen hatte, aber träumen war schließlich erlaubt.
„Soll ich hier bleiben und dich in deine neue Wohnung einweisen?“ Der Kerl, Stefan hieß er, richtig ... sah Hannes resigniert an. Er hätte ihm auch einen Vogel zeigen können, Hannes würde es aus naheliegenden Gründen kaum tangieren.
„Nein. Geh nur und danke für alles. Ich rufe Grit an.“ Hannes zog sein Handy aus der Hosentasche. „Erster Knopf oben rechts, stimmt`s ?“
„Richtig. Auf dem zweiten ist meine Nummer gespeichert, auf dem dritten die vom Dr. Bauer und die Notfallnummer ...“
Hannes Gesicht gefror zu einer Maske. Merkte dieser Stefan nicht, dass er mit seinem fürsorglichen Gerede in eiternden Wunden pulte?
„Die Notfallnummer braucht er nicht. Er ist ja nicht schlaganfallgefährdet, oder?“ Wenn doch, saß er jetzt bis zum Hals im Fettnäpfchen.
„Nein, bin ich nicht“, sagte Hannes sehr leise. Er drehte den Kopf zu Stefan, aber nicht weit genug, um ihn wirklich sehen zu können. Sehen können? Finn schüttelte das miese Gefühl von sich, das sich gerade in seinen Magen schlich. Mann, der Junge hatte echt die Arschkarte gezogen.
„Es reicht, wenn du mir kurz zeigst, wie die Zimmeraufteilung ist, Stefan. Den Rest schaffe ich allein.“
Stefan verdrehte die Augen und angelte einen Schlüssel aus der Jackentasche. „Wenn du nur nicht so stur wärst. Wem willst du was beweisen?“
„Mir“, kam es sehr kühl.
Finn schluckte. Stefan auch. Sie sahen sich einen Moment an, dann streckte Finn die Hand nach dem Schlüssel aus. Stefan zuckte die Schulter und gab ihn ihm.
Wenn es Hannes Wohnung war, sollte er auch allein aufschließen. „Hier. Deine Wohnung, deine Tür,
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