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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, dann stieg er in den Wrangler und fuhr davon.
    Lara blieb stehen und winkte, die Einkäufe zu ihren Füßen. Ihre Wangen brannten dort, wo seine Lippen sie berührt hatten. Eine Brise zauste die hohen Ahornbäume, die rund ums Haus wuchsen, so dass sie einen Moment lang nichts anderes hören konnte als das Rauschen ihrer Blätter. Hatte sie nicht am Morgen erst beschlossen, Stephen nie wiederzusehen? Und hatte sie nicht gerade einen ganzen Nachmittag mit ihm verbracht und auch noch Jack in die Sache hineingezogen?
    Dann erspähte sie Marcus weit hinten auf der Main Street, seine Haarfarbe und Gestalt unverwechselbar, wie er mit einer schweren Umhängetasche über der Schulter und einer Zigarette in der Hand den Gehweg entlangschlenderte. Die tief stehende Sonne des späten Nachmittags leuchtete in seinem Haar, so dass er aussah, als stünde er in Flammen. Seinem federnden Schritt nach zu urteilen, hatte er einen guten Arbeitstag gehabt. Er wirkte seltsam vollständig, als habe er endlich seinen Platz in der Welt gefunden.
    »Daddy!«, rief Jack und rannte seinem Vater entgegen.
    Und hier stehe ich, dachte sie. Seine Lara, die mit dem Gedanken spielt, all dieses Glück zu zerstören.

25
    B ella lag im Dunkeln in der brütenden Hitze ihres Zimmers und lauschte dem Summen einer Mücke, die Kurs auf ihre Haut nahm. Nach dem unangenehmen Abend war sie ganz durcheinander, und das Mückensummen machte es noch schlimmer. Eins der Fliegengitter hatte einen kleinen Riss, und als sie gestern Abend weggefahren waren, musste sie das Licht angelassen haben. Deshalb hatte sie vor dem Insbettgehen eine geschlagene halbe Stunde damit verbringen müssen, mit einer Sandale bewaffnet durchs Zimmer zu schleichen und die gerissenen kleinen Biester, die den Weg hineingefunden hatten, auf der stockfleckigen Tapete zu blutigen Flecken zu zerquetschen.
    Das Summen der letzten verbliebenen Mücke verstummte, und sie spürte den Stich, als der Stechrüssel die Haut an ihrem Bauch durchdrang. Sie hielt den Atem an, hob die Hand und ließ sie mit einem lauten Klatschen auf ihren Bauch niedersausen. Sie zerrieb die krümeligen Überreste des Insekts zwischen den Fingern. Wenn sie das Licht anmachte, würde sie ihr eigenes Blut sehen können – Motiv genug für ihr Attentat. Aber sie war zu faul, sich aus dem Bett zu lehnen und an diesem dämlichen Schalter herumzufummeln.
    Der Nachteil daran, dass die Mücke jetzt nicht mehr summte, war, dass sie Olly besser hören konnte. Er schrieb gerade an einem Song, was bedeutete, dass er einen Heidenlärm veranstaltete. Er hatte diese raue Klagestimme, die ihr so unglaublich auf die Nerven ging. Sie klang total gekünstelt, und ihr einziger Zweck war es, sie in den Wahnsinn zu treiben. Er sei, so hatte er während des peinlichen Abendessens erklärt, zu dem Sean mit eingeladen gewesen war, gerade dabei, ein Byron-Gedicht aus dem Band zu vertonen, den Stephen ihm geliehen hatte. Also musste Bella jetzt Ollys Stimme ertragen, die aus dem Nebenzimmer zu ihr herüberdrang.
    »Sie hatte meine Züge – ihre Augen,
    Ihr Haar, der Ton selbst ihrer Stimme war,
    So sagte man, dem meinen ähnlich …«
    »Halt’s Maul«, stöhnte Bella in die undurchdringliche Dunkelheit ihres Zimmers. Sie wusste genau, was für ein Spiel er trieb. Als sie in der Schule die Romantiker durchgenommen hatten, hatte sie auch etwas über Byron und dessen Verhältnis zu seiner Halbschwester gelesen. Es war einfach so typisch Olly, dass er jetzt versuchte, aus dem, was zwischen ihnen gelaufen war, etwas Erhabenes zu machen. Die Nummer hatte er schon mal versucht, zu Hause in Brighton. Ihre Eltern waren aus gewesen, und er hatte völlig zugedröhnt oben auf der Treppe gestanden, ihr den Weg versperrt und irgendwas davon gefaselt, dass in Bali zweieiige Zwillinge unterschiedlichen Geschlechts zur Heirat gezwungen würden, weil man davon ausging, dass sie bereits im Mutterleib Sex gehabt hatten.
    Solange es nur irgendeine gelehrte Erklärung gab, war für Olly alles in Ordnung. Sie selbst jedoch empfand nichts als Scham. Sie wollte alles vergessen. Am liebsten hätte sie so getan, als wüsste niemand außer ihr davon. Aber wie sollte das gehen, wenn er es auch wusste? Und sie immer von neuem damit quälte?
    Endlich war Olly mit seiner Songschreiberei fertig. Bella versuchte, die Verspannung in ihren Schultern nach unten wegzuatmen, durch die Fingerspitzen auf das zerknitterte Bettlaken.

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