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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Wasserstrahl stand und sich mit dem Spezial-Teebaumduschgel einseifte, das sie für ihren Privatgebrauch eingepackt hatte, gab sie acht, sich nicht im Spiegel zu betrachten, der an der Wand gegenüber lehnte.
    Jemand rüttelte am Knauf der Tür zum Flur.
    »Bella, bist du da drin?«
    Olly, der Blödmann.
    »Was ist?«, rief sie mit geschlossenen Augen, während ihr das Shampoo – ebenfalls Teebaumöl – übers Gesicht lief.
    »Ich muss kacken.«
    »Ich brauch noch zehn Minuten.«
    »Ich muss aber jetzt.«
    »Scheiße.« Hastig wusch Bella sich ab und wickelte sich ein Handtuch um.
    Sie stürzte zur Tür hinaus und rannte ihren Bruder dabei fast um.
    »Sor-ry«, sang dieser, ehe er im Bad verschwand.
    Sie zog sich Shorts und ein Tanktop über – die schicken Sachen, die sie extra für New York gekauft hatte, würden in Trout Island wohl nicht oft zum Einsatz kommen –, kämmte sich die Haare, schlüpfte in ihre silbernen Flipflops und ging dann nach unten, um ihre Mutter zu suchen. Statt ihrer fand sie nur den Zettel auf dem Küchentisch.
    Toll, dachte Bella. Sitzengelassen.
    Als sie die Frühstücksflocken und die Milch auf dem Tresen stehen sah, merkte sie, dass sie Hunger hatte, also machte sie sich Frühstück. Kurz darauf hörte sie die Toilettenspülung rauschen, dann kam Olly die Treppe heruntergepoltert und gesellte sich zu ihr. Er langte mit der Hand in die Frühstücksflocken-Packung.
    »Woah, Erdnussbutter!«, sagte er, den Mund voller Reese’s Puffs. »Wollen wir rausgehen, uns die Gegend ansehen?«
    »Na gut.« Sie war einverstanden. »Was ist mit dem Haustürschlüssel?«
    »Gibt keinen. Mum hat gestern Abend gefragt. Jimmy Boy hat gemeint, hier schließt niemand seine Haustür ab.«
    »Aber wir sind doch in Amerika. Ist es nicht gefährlich hier?«
    »Keine Ahnung.« Olly zuckte die Achseln.
    Sie schlenderten die Main Street entlang in Richtung Theater. Inzwischen war es Mittag. Die Hitze drang ihnen in die Glieder und machte sie träge. Sie hielten sich im Schatten der großen Bäume, die rechts und links der Straße wuchsen.
    »Mann, total old-school-mäßig hier«, stellte Olly fest, als Bella ein Foto von ihm vor einem Baum knipste, um dessen Stamm ein verblichenes gelbes Band gewickelt war. »Gar nicht so, wie ich’s mir vorgestellt hab.«
    »Und wo sind die ganzen Leute?«, wunderte sich Bella, als sie den Objektivdeckel aufsteckte. Dann fiel es ihr wieder ein. »Hast du auch den Luftschutzalarm gehört?«
    »Ja. Bin davon aufgewacht.«
    »Was sollte der?«
    »Ich glaub, das ist bloß eine Übung. Ich hab irgendwo was drüber gelesen. Das haben alle Städte seit dem elften September. Für den Fall, dass es einen Terroranschlag gibt.«
    »Im Ernst?« Bella war sich nie sicher, ob Olly sie auf den Arm nahm.
    »Klar.« Olly schaute sich um.
    »Wie paranoid ist das denn?«
    Sie kamen an einem Gebäude vorbei, das offenbar die örtliche Schule beherbergte, ein langgezogener Bau mit Säulenvordach direkt gegenüber dem Theater. Das Gras davor war hoch und musste dringend gemäht werden. Neben dem Schulgebäude gab es eine klägliche Ansammlung kleiner, graffitiverschmierter und zerbeulter Rutschen und Gummischaukeln. Sie wirkten genauso trostlos wie alles andere im Ort. Bella wirbelte umher und machte Fotos: klick, klick, klick.
    Sie setzten sich auf zwei Schaukeln und schwangen mit baumelnden Beinen in der Hitze quietschend vor und zurück.
    »Und die denken ernsthaft darüber nach, den ganzen Sommer hierzubleiben?«, sagte Olly nach einer Weile.
    »Ich glaub, über die Phase des Drüber-Nachdenkens sind sie längst hinaus«, erwiderte Bella.
    »Wo sind die ganzen Kinder?« Er deutete auf den menschenleeren Spielplatz.
    »Im Urlaub wahrscheinlich«, antwortete Bella. »Oder sie wurden alle in einem satanistischen Ritual abgeschlachtet. O mein Gott, was ist das denn?« Sie sprang von der Schaukel und ging bis zum Rand des Spielplatzes, wo dunkle Eichen in den diesigen Himmel ragten und dichtes Unterholz den staubigen Boden überwucherte. Olly trat hinter sie.
    »Uäh«, machte er, als Bella sich vorbeugte und ein paar Zweige beiseitebog. Darunter kam ein Grabstein zum Vorschein.
    »Da sind ganz viele, schau mal.« Bella zeigte auf einen zweiten und einen dritten Grabstein.
    »Ein Friedhof. Neben einem Spielplatz«, sagte Olly. »Das geht ja wohl gar nicht.«
    »Die sind richtig alt, sieh nur.« Bella las ein paar Jahreszahlen vor, die noch nicht vollständig verwittert waren. »1876, 1899,

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