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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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marschierte los, zurück Richtung Ort. Aber sie wusste, dass er hinter ihr war, und den ganzen Weg bis zum Haus spürte sie seine Blicke im Rücken.

5
    E inmal mehr hatte sich James’ Wegbeschreibung als komplett nutzlos erwiesen. Letzten Endes war Lara gezwungen gewesen, anzuhalten und einen Jugendlichen im Gothic-Outfit, der mitten in der Landschaft an einer zerbeulten Leitplanke lehnte, nach dem Weg zu fragen. Als sie es endlich über den Trout Mountain in die Stadt geschafft hatte, war es schon nach zwölf.
    In der Stadt angekommen, hatte Lara Green’s ziemlich schnell gefunden. Der Supermarkt war riesig, und sein Name prangte weithin sichtbar in stolzen, Hollywood-artigen Lettern auf dem Dach. Lara suchte sich eine Parklücke in der Nähe des Eingangs. Genau wie Trout Island und die Straße, die sie hergeführt hatte, war auch der Supermarktparkplatz praktisch wie ausgestorben. Einen Augenblick lang stellte Lara sich vor, das Ende der Welt sei gekommen und außer ihr und Jack gebe es keine Überlebenden.
    Beim Öffnen der Wagentür musste sie fast buchstäblich gegen die Hitzewellen andrücken, die vom glühenden Asphalt aufstiegen. Nicht nur, dass es außerhalb des klimatisierten Autos heiß war. Die Wolken hingen tief auf dieser Seite des Berges, so dass die Luft feucht und schwer war wie in einem türkischen Bad.
    »Puh«, machte Jack, als ihm die Wärme entgegenschlug.
    Lara besorgte sich einen Einkaufswagen und hob ihren Sohn vorn in den Kindersitz. Als sie den Markt durch die automatischen Glastüren betraten, wurden sie von einem Stoß eisiger Luft getroffen, und Lara erschauerte vor Erleichterung. Das Innere des Supermarkts war noch größer, als die gigantische Fassade hatte vermuten lassen. Lara freute sich, Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen. Mütter mit kleinen Kindern fuhren die endlosen, hell erleuchteten Gänge entlang und füllten ihre Einkaufswagen mit Päckchen und Schachteln und laut knisternden Folientüten. Gedämpfte Berieselungsmusik verlieh dem Ort eine surreale, tranceartige Atmosphäre, und Lara musste unwillkürlich an die Tankstelle in Trout Island denken. Sie lenkte ihren Wagen in den ersten Gang und arbeitete sich von dort aus systematisch vor, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, was wo stand und wie viel alles kostete.
    Ihr kleiner Jack war im Paradies. Aufgeregt streckte er die Hände aus, wann immer er etwas sah, was ihm gefiel: ein glänzender Werbeballon, eine bunte Keksverpackung. Das Warenangebot war riesig – so viele verschiedene Kaffeesorten und Frühstücksflocken, so viele verschiedene Arten von Saft. Laras Verstand hatte Mühe, den Anblick der einhundert Meter langen Regalwand voller unterschiedlicher Saftsorten zu verarbeiten: ohne Zucker, aus Konzentrat, direkt gepresst, mit Eiweißzusatz, mit Ballaststoffzusatz, aus ökologischem Landbau, glutenfrei …
    Am Ende entschied sie sich für das, was ihr bekannt vorkam. Sie hatte schon genug um die Ohren, ohne sich darüber Sorgen zu machen, dass ihre Kinder über ungewohntes Essen die Nase rümpften. Sie belud ihren Einkaufswagen mit Nudeln, Dosentomaten, getrockneten Bohnen und einer köstlich aussehenden Wurst aus Italien, die fast als englische Wurst durchgehen konnte. Sie war froh, als sie Biomilch fand, da sie Horrorgeschichten über die Menge an Hormonen gehört hatte, mit denen die intensiv gehaltenen amerikanischen Kühe vollgepumpt wurden. Sie wollte nicht, dass ihren Söhnen Brüste wuchsen.
    Außerdem wanderten noch zwei Sechserträger Bier in den Wagen. Als sie jedoch einen der uniformierten Angestellten, die überall im Markt herumliefen, nach dem Wein fragte, klärte dieser sie darüber auf, dass in Supermärkten kein Wein verkauft werde und sie dafür zum Alkoholgeschäft auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes gehen müsse. Ihr Auskunftsgeber sprach langsam, als wäre sie geistig minderbemittelt, weil sie dies nicht wusste.
    Sie stand eine Weile unschlüssig da und überlegte, ob sie ein kleines, unverschämt teures Glas Marmite kaufen solle. Schließlich legte sie es in den Einkaufswagen. Ohne Marmite würde Marcus nicht über den Sommer kommen.
    Sechs Wochen waren eine lange, lange Zeit. Eine lange Zeit, um alles wieder ins Lot zu bringen, und eine lange Zeit, wenn man einen kleinen Jungen bei Laune halten musste. Sie ging durch die Spielzeugabteilung und fügte einen Zeichenblock, ein Malbuch, preiswerte Wasserfarben, Filzstifte und Kinderschere sowie Klebstoff zu ihren

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