Hautnah
sehr waren sie bereits zerstochen. Auf keinen Fall wollten sie noch weitere von den Biestern dazu ermuntern, ihr Blut zu trinken.
Doch von den blutenden und nässenden Schwellungen der Insektenstiche abgesehen, konnte sich die Familie Wayland sehen lassen. Die Zwillinge hatten Sonne abbekommen und wirkten schon jetzt frisch und in Urlaubsstimmung. Bella trug ein knappes Hängerkleidchen aus Baumwollbatist, und Olly, der seine Gitarre zupfte, hatte sich für Surfershorts und das Hawaiihemd entschieden, in dem er Lara so gefiel. Marcus hatte für den Abend das umstrittene Paul-Smith-Hemd ausgewählt, und Jack sah in seinem chinesischen Brokathemd mit passenden Shorts, die sie in einem Wohltätigkeitsladen in Brighton erstanden hatte, zuckersüß aus. Lara selbst komplettierte die Wayland-Truppe mit ihrem nunmehr geraden Lidstrich, dem Boden-Kleid und der Bernsteinkette durchaus gut, wie sie fand.
»Was für eine hübsche Familie«, würden die Leute raunen, wenn sie vorbeischlenderten, stellte sie sich vor.
»Also dann«, sagte Marcus, als sie wie Hühner auf der Stange vor ihm saßen. »Olly, kannst du kurz die Gitarre weglegen? Danke, Kumpel. Wie ihr alle wisst, ist James mein ehemaliger Lehrer.«
»Ja, das wissen wir, Dad«, stöhnte Olly, als die Gitarre mit einem Aufjaulen der Saiten und einem dumpfen Knall auf dem Fußboden landete.
»Sein Partner heißt Betty. Und ist, wie ihr euch vermutlich bereits denken könnt, ein Mann.«
»Warum heißt er dann Betty?«, wollte Olly wissen.
»Das ist kompliziert. Alles, was ihr wissen müsst, ist, dass sie es lieber hat, wenn man von ihr als Frau redet«, erwiderte Marcus. Er hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und sah aus wie sein Vater, ein ehemaliger Berufssoldat, der nicht das Zeug dazu gehabt hatte, seinen einzigen Sohn ernstzunehmen. »Also werdet ihr das auch tun.«
Olly feixte.
»Und dieser Gesichtsausdruck ist genau der Grund, weshalb ich dir das jetzt sage, junger Mann«, fuhr Marcus fort. »Damit es nicht noch so eine Szene gibt wie am Abend unserer Ankunft.«
»Was meinst du?« Olly hielt ihm die offenen Handflächen hin, wie um seine Unschuld zu demonstrieren. »Ich hab ihm nichts gemacht.«
»Ich hab ihm nichts getan «, korrigierte Marcus. »Dein Benehmen grenzte schon ans Homophobe, und ich dulde nicht, dass sich mein Sohn so benimmt.«
Zu der Freude darüber, was für ein schönes Bild ihre Familie abgab, gesellte sich bei Lara nun noch der Stolz auf ihren Mann – ein ungekanntes Gefühl. Ihr Ältester war so eine Naturgewalt, dass sie meistens nicht einmal wusste, wie sie ihn überhaupt auf sein Verhalten ansprechen sollte. Und jetzt stellte sich Marcus seelenruhig vor ihn hin und konfrontierte ihn ganz direkt damit. Sie versuchte, den Augenblick nicht durch den Wunsch zu verderben, er möge es öfter tun.
»War doch bloß ein Scherz«, brummte Olly.
»Ein überaus geschmackloser«, setzte Marcus hinzu. »Für heute Abend verbitte ich mir das. Die Familie Wayland steht hier in der Öffentlichkeit, und ich will, dass du dich höflich und freundlich verhältst, ich weiß nämlich genau, dass du dazu in der Lage bist. Du wirst über die Witze lachen und nach den Liedern Beifall klatschen, ganz egal, wie du sie wirklich findest. Und wenn du die Sache vermasselst, mein Großer, dann wirst du so lange dieses Haus nicht verlassen, bis du kapiert hast, wie man sich anderen Menschen gegenüber benimmt.«
»Wow«, machte Olly.
»Ich glaub, er meint’s ernst, Oll«, sagte Bella.
»Und ob ich das ernst meine«, bestätigte Marcus und strich sich die Hemdbrust glatt. »Also dann. Vortrag beendet. Meine Damen und Herren: Wollen wir zum Ball gehen?«
Damit marschierte er zur Haustür hinaus in Richtung Straße, und seine Familie folgte ihm. Soeben hatte Lara ein Stück des alten Marcus zu sehen bekommen, den sie im Laufe dieses Sommers wiederzuentdecken hoffte. Vielleicht war es die Hauptrolle, die ihm zu diesem neuen Selbstvertrauen verholfen hatte. Aber ganz egal, woran es lag, offenbar stand für ihn in Trout Island einiges auf dem Spiel, und er war eisern entschlossen, erfolgreich zu sein.
Lara freute sich. Sie mochte es, wenn ihr Mann ein bisschen Feuer hatte.
11
D ie Sonne bewegte sich langsam auf das westliche Ende der Main Street zu und zog ihre Schatten in die Länge, als sie in Richtung Theater gingen. Trotzdem war es nach wie vor heiß, und noch ehe sie die knapp fünfhundert Meter zurückgelegt hatten, die sie von ihrem Ziel
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