Hautnah
Junge?«
»Er hat Bella geholfen, wegen meinem Eis.«
»Aha«, sagte Lara. Ein großer Junge. Bella war ihr so ähnlich, dass sie es eigentlich hätte ahnen müssen, auch ohne dass Jack seine Schwester verriet. Sie hob ihn aus der Spüle und rubbelte ihn mit einem Geschirrtuch trocken.
Eine halbe Stunde später hatte Bella die Dusche geräumt, und Marcus verschwand im Bad – zum Rasieren, Shampoonieren und Exkrementieren, wie er es ausdrückte. Lara richtete währenddessen das gemeinsame Bett, dann setzte sie sich auf die Kante. Unter den wachsamen Blicken von Jack, der sich an ihr Bein gelehnt hatte, versuchte sie, einen geraden Lidstrich zu ziehen. Sie hatte es fast geschafft, als Olly die Tür zum Schlafzimmer aufriss. Sie bekam einen solchen Schreck, dass ihre Hand mit dem Stift bis hoch zur Augenbraue zuckte.
»Sorry, Mum«, entschuldigte sich Olly. Er kaute geräuschvoll und mit offenem Mund Kaugummi.
»Wo hast du gesteckt?« Lara stand auf, um sich vom Kosmetikregal in der Kammer einen Wattebausch zu holen.
»Hab ein paar Typen kennengelernt. Hey, cooles Ankleidezimmerdingens.« Olly war ihr gefolgt und sah sich um. Er tat wesentlich beeindruckter, als die Kammer rechtfertigte, und das weckte Laras Misstrauen. Sie drehte sich zu ihrem Sohn um und musterte ihn prüfend.
»Was für Typen?«, wollte sie wissen und sah seine blutunterlaufenen Augen. »Und was hast du mit ihnen gemacht?«
»Ach, du weißt schon, rumgehangen halt.«
»Hauch mich an«, befahl Lara, stellte sich auf die Zehenspitzen und zog sein Gesicht zu sich herunter. Aber alles, was sie roch, war das starke Minzaroma des Kaugummis. »Hast du geraucht?«
»Mutter«, empörte sich Olly. »Wie kommst du nur zu solch infamen Anschuldigungen?«
Die Formulierung, die ausweichende Antwort, all das war Lara nicht neu. Sie wusste genau, was es zu bedeuten hatte. Er war high. Seufzend ging sie zum Bett zurück, um ihr Auge zu säubern. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit ihm darüber zu streiten, aber sie war enttäuscht von ihm. Schon war die erste ihrer Erwartungen an den Sommer dahin, noch ehe er richtig begonnen hatte – die Hoffnung, dass Olly, sobald er nicht mehr in Brighton war, aufhören würde, täglich Gras zu rauchen. Ihm war gar nicht bewusst, dass sie ihn komplett durchschaut hatte, aber als diejenige, die seine Taschen voller zerrissener Rizla-Packungen und Plastikbeutelchen ausleerte, hatte sie eine ziemlich klare Vorstellung davon, was er trieb. Außerdem hatte sie ihn genau beobachtet und gelernt, die Zeichen richtig zu deuten.
Sie hatte versucht, ihn davon abzubringen, und ihm die Standardvorträge gehalten: dass Haschisch antriebslos mache und man bei den neuen Varianten der Droge unmöglich abschätzen könne, wie stark sie wirkten oder wie hoch das Risiko von Psychosen sei. Alles, was von Olly zurückgekommen war, das waren ein herablassendes »Reg dich ab, Mum, das ist doch nur eine Phase« und ein »Was erwartest du? Ich bin sechzehn und lebe in Brighton« gewesen.
Sie wusste genau, dass er log, was das Ausmaß seines Drogenkonsums anging, und sie hasste Lügen.
»Pass bloß auf, dass dein Vater nicht merkt, dass du high bist«, warnte sie ihn und machte sich erneut an ihr Augen-Make-up.
»Ich bin nicht high, Mum«, protestierte Olly, der so fest an seine eigenen Märchen glaubte, dass er es allen Ernstes fertigbrachte, genervt zu klingen.
»Und dann geh und zieh dich um.«
»Aber –«
»Kein Aber. Du hast Grasflecke am Hintern. Ich will mir gar nicht ausmalen, was du getrieben hast. Hast du eine zweite Jeans eingepackt?«
»Nein.«
»Na, dann musst du eben Shorts tragen. Du hast eine Viertelstunde. Ab mit dir.«
Olly schnalzte unzufrieden mit der Zunge, dann drehte er sich um und trollte sich in sein Zimmer.
»Verdammt«, sagte Lara, als Jack den Arm ausstreckte und ihr auf die Hand patschte, so dass zum zweiten Mal ihr Lidstrich verwackelte.
Um Viertel nach vier hatte Marcus die Mitglieder der Familie Wayland auf den zwei Sofas im Wohnzimmer zu einem Briefing versammelt. Die flirrende Hitze des Nachmittags machte die staubige Luft feucht, so dass sie ihnen auf der nackten Haut zu kleben schien. Lara hatte den Versuch unternommen, Vorder- und Hintertür zu öffnen, um für ein bisschen Durchzug zu sorgen, doch das hatte nur dazu geführt, dass schwarze Fliegen und summende Moskitos ins Haus einfielen. Als sie nun beisammensaßen, war das Kratzen von Fingernägeln auf Haut das lauteste Geräusch im Raum, so
Weitere Kostenlose Bücher