Hautnah
sie oft noch die ganze Nacht mit ihnen zusammengesessen. Sie hatten viel getrunken damals. Eines Morgens, nach einem kräftezehrenden Gelage, das die ganze Nacht gedauert hatte, hörte einer der Schauspieler auf dem Pub-Fernseher die Titelmelodie der Sportsendung Grandstand, und ihm fiel siedend heiß ein, dass es Samstagmittag war, eine Matinee anstand und er, der Hauptdarsteller, in einer halben Stunde auf der Bühne stehen musste.
Es war eine wilde Zeit.
Doch im Gegensatz zu den anderen Mädchen, die in der Stadt arbeiteten, reichte es Lara nicht, mit jungen Bühnenstars ins Bett zu gehen. In der Schule war sie die kunstbegeisterte Außenseiterin gewesen und hatte mit Verachtung auf die Jungs in ihrer Klasse herabgeschaut, die viel zu langweilig, viel zu normal gewesen waren, um ihr Interesse zu wecken. Folglich war sie noch Jungfrau, als sie nach Stratford kam, und dort nahm sie sich erst einmal Zeit, sich an das neue Leben zu gewöhnen und die Atmosphäre des Ortes auf sich wirken zu lassen. Als sie Marcus kennenlernte, war es das erste Mal, dass sie Gelegenheit bekam, mit jemandem zu schlafen.
Nicht dass er ein Star gewesen wäre. Er war »Ensemblemitglied«, und das, so erklärte er ihr beim Inder in Stratford, wo ihr erstes Treffen stattfand, bedeutete, dass er einen Zweijahresvertrag hatte und alles spielen musste, was man ihm vorsetzte. Bisher war er der Erste Totengräber in Hamlet und ein Förster in Verlorene Liebesmüh gewesen.
Was die Größe seiner Rollen anging, sei das ein Rückschritt, sagte er, während er ein Papadam zerkrümelte und es in einen höllisch scharfen Limettendip eintunkte. Davor hatte er im Old-Vic-Studio in Bristol mehrere Hauptrollen gespielt, einen kleinen, aber dramaturgisch zentralen Part in einem Tschechow-Stück am West End gehabt sowie für einige Folgen den missratenen Bruder einer Figur bei den EastEnders verkörpert. Aber ein Engagement bei der Royal Shakespeare Company, erklärte er, nachdem er das Brennen der Soße mit einem Schluck Kingfisher gelöscht hatte, könne ihn ganz nach oben bringen. Er war auf dem besten Weg, sich in der Theaterwelt einen Namen zu machen, daran glaubte er fest.
Lara fand das alles ungeheuer aufregend. Wenn sie seine Geschichten hörte, wollte sie unbedingt Teil dieser Welt – seiner Welt – sein. Gewissermaßen war es also unausweichlich gewesen, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
Wenn sie dieses Gefühl nur wieder zum Leben erwecken könnte, dachte sie jetzt, während sie ihr Glas leerte und überlegte, ob sie vom Sofa aufstehen und sich ein zweites einschenken sollte.
Kaum hatte sie sich dazu durchgerungen, als die Haustür aufgerissen wurde und Bella und Jack hereinkamen. Die Hitze hatte Bella stark zugesetzt, sie sah genauso zerlaufen aus wie die Eiscreme auf Jacks T-Shirt und in seinem Gesicht.
»Na, ihr zwei scheint ja einiges erlebt zu haben«, sagte Lara und stellte ihr Glas unauffällig neben dem Sofa ab. Sie durfte nicht vergessen, es später wegzuräumen. »Besser, ihr geht rauf und macht euch frisch, bevor wir losmüssen.«
»Wie spät ist es denn?«
»Halb vier.«
»Mist! Kann ich noch duschen?«
»Wenn heißes Wasser da ist. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert.« Noch eine Frage, die sie James stellen musste. »Was ist mit deinem Bruder? Eine schöne Sauerei.«
»Kannst du ihn nicht saubermachen, Mummy? Bitte. Ich muss mich fertigmachen.«
»Du hast doch noch eine ganze Stunde Zeit. Wozu die Hektik?«
»Würdest du sowieso nicht verstehen.«
»Einen Versuch wäre es ja vielleicht wert.«
»Mein Gott, Mum.« Bella drehte sich um, stapfte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Lara erkannte jede ihrer Gesten und die Art, wie sie sich ärgerte, bis ins kleinste Detail wieder. Es war in gleichem Maße bedrückend wie faszinierend, so als wäre sie ihre eigene Mutter und stünde ihrem jugendlichen Selbst gegenüber.
»Was ist denn nur mit deiner Schwester los, Jacko?«, sagte Lara, nahm Jacks klebrige Hand und ging mit ihm in die Küche zur Spüle, um ihm die Eiscreme abzuwaschen.
Jack zuckte mit den Schultern. »Sie ist wacko, Jacko.«
»Da sagst du was. War es denn schön auf dem Spielplatz?«, erkundigte sie sich, während sie ihm die durchweichten, verdreckten Sachen auszog.
»Ja. Und der große Junge ist auch nett«, erzählte Jack, den ein Wonneschauer durchlief, als seine Mutter ihm mit einem nassen Küchenhandtuch über den verschwitzten Körper fuhr.
»Welcher große
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