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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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wiederzusehen. Es kann ziemlich einsam werden, wenn man sich hier draußen versteckt.«
    »Wieso denn?«, fragte Lara ihre Tochter.
    »Ich bin mit jemandem verabredet …«
    »Lara? Was meinst du dazu?«
    »Wir sind rechtzeitig zurück, versprochen«, beruhigte Lara ihre Tochter. Sie dachte an die dunklen, unbefestigten Straßen zwischen hier und ihrem verstaubten, stinkenden Haus im Ort und war erleichtert, dass sie bleiben konnten. Sie wusste, dass es ein Spiel mit dem Feuer war, bei Stephen zu übernachten, weil sie sich unmittelbar der Versuchung aussetzte. Aber was konnte schon passieren, wenn ihre ganze Familie dabei war?
    »Vielen Dank, Stephen«, sagte sie.
    »Gut. Dann ist das also geklärt. Möchte noch jemand Nachschlag?«
    »Ja, bitte«, sagte Marcus. »Das ist köstlich.«
    »Und ihr habt dieses Jahr eure ersten Prüfungen gemacht?«, wandte Stephen sich an die Zwillinge, nachdem er Marcus aufgetan hatte.
    »M-hm. Gerade fertig geworden«, antwortete Bella.
    »Und was kommt als Nächstes?«
    »Also, ich will aufs College gehen. Kunst, Textildesign und Fotografie.«
    »Seht gut«, lobte er.
    »Unsere Bella ist eine richtige kleine Künstlerin«, warf Marcus ein.
    »Und was ist mit dir?«, wandte Stephen sich an Olly.
    »Ich dachte an Geschichte, Politik und Volkswirtschaft.«
    »Also eher akademisch orientiert?«, sagte Stephen.
    »Ein Oxbridge-Kandidat, hat man ihm gesagt, wenn er sich anstrengt«, erklärte Marcus und machte sich unter großer Sudelei über seine zweite Portion her. Um seinen Teller herum entstand ein Kranz rotbrauner Soßenflecke.
    »Na, dann sag mir doch mal, wie du zu dem von der Regierung beschlossenen Sparprogramm stehst«, forderte Stephen Olly auf.
    Stephen redete weiter und lockte die Kinder aus der Reserve. Sogar Jack wurde über seine Lieblings-Fernsehfiguren befragt und war ganz begeistert, als Stephen ihm verriet, dass er die Stimme eines Zeichentrick-Roboters war, den Jack besonders gern mochte.
    »Wenn ihr mich in L. A. besuchen kommt, kann ich euch auf eine Tour durch die Studios mitnehmen, wo die Serie produziert wird«, schlug er vor, woraufhin Jack vor Freude in die Hände klatschte.
    Lara konnte sich nicht erinnern, dass ihre Kinder bei Tisch jemals so viel geredet hätten. Leute ohne Kinder wussten in aller Regel nicht, wie sie mit jemandem sprechen sollten, der jünger war als zwanzig, und Leute mit Kindern waren heilfroh, Erwachsenengespräche führen zu können, und ignorierten Bella, Olly und Jack. Diese saßen dann meistens schweigend am Tisch, aßen und machten sich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Staub. Nicht so bei Stephen.
    Der Nachtisch bestand aus Pfirsichen und Blaubeeren mit Sirup von Stephens eigenen Ahornbäumen. Er hatte Olly und Bella so ganz und gar für sich eingenommen, dass sie ihm sogar ungefragt beim Abräumen halfen. Dann setzten sich alle wieder hin, während Stephen Kaffee kochte – er mahlte die Bohnen von Hand und benutzte eine Cafetiere – und eine Flasche Portwein auf den Tisch stellte.
    »Kann ich auch welchen, Mum?«, fragte Olly, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
    »Klar, Junge.« Marcus goss ihm ein Glas ein.
    »Möchtest du auch welchen, Bella?«, fragte Stephen.
    »Ja, gerne.«
    Stephen stand auf und brachte ihr die Flasche. Als er sich an Lara vorbeibeugte, um Bella einzuschenken, streifte sein Hemd ihre Wange, und für einen Moment lang verschwamm die Kerzenflamme vor ihren Augen.
    Ein Blitz erhellte die Fenster. Sekunden später folgte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.
    »Es ist fast über uns«, sagte Stephen. »Ich hole noch ein paar mehr Kerzen. Gewitter bedeutet normalerweise Stromausfall.«
    »Im Ernst? Wir sind im reichsten Land der Welt. Ich dachte, so was hätten die hier im Griff«, war Olly erstaunt.
    »Die Infrastruktur ist eine Katastrophe«, sagte Stephen. »Jedes Mal, wenn es Gewitter gibt, ist der Strom weg. Die Straßen sind ein Alptraum. Seid ihr schon mal durch Manhattan gefahren? In Kinshasa gibt es bessere Straßen. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede, ich bin selbst da gewesen. Vor ungefähr sechs Jahren gab es hier heftige Überschwemmungen, und die Brücken wurden immer noch nicht instand gesetzt. In der Zwischenzeit sind die Flüsse erneut über die Ufer getreten, und niemand hat irgendwelche Maßnahmen ergriffen, damit es erst gar nicht so weit kommt.«
    »Ich muss auch sagen, dass ich ziemlich geschockt war, wie heruntergekommen es in

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