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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Knöcheln heruntergezogen, und nicht wusste, ob sie ihren Darm leeren oder sich übergeben sollte. Inzwischen wusste sie, dass diese Gefühle für ein junges Mädchen wie sie, in dessen Vorstellungswelt Sex nichts weiter war als eine abstrakte und leicht eklige Erwachsenenangelegenheit, ein Vorgeschmack auf Begierde gewesen waren.
    Sie trat ans Schlafzimmerfenster, um die Vorhänge zu schließen, blieb dann aber vor der Scheibe stehen, weil sie glaubte, mit ihren kurzsichtigen Augen eine Gestalt in der Dunkelheit ausgemacht zu haben. Winzige Wassertröpfchen drangen durchs Fliegengitter und kühlten ihre brennende Haut. Sie öffnete das Gitter, um besser sehen zu können, aber alles, was sie erkennen konnte, war ein samtenes Blau, in dem sich Bäume, Tiere und Gott weiß was noch verbargen. Sie wollte ihren Platz am Fenster gerade verlassen, als urplötzlich ein gezackter Blitz in den Rasen fuhr und den Garten erhellte. Als Lara zurückzuckte – sie hatte gehört, dass Blitze auch in Häuser einschlagen konnten –, erkannten ihre Augen verschwommen die Gestalt einer Frau, die im Regen am Waldrand stand. Sekundenbruchteile später, als der Donnerschlag kam und ihr Trommelfell zum Beben brachte, war alles wieder in Dunkelheit getaucht.
    Lara rieb sich die Augen. Der Abdruck der Gestalt haftete noch auf ihrer Netzhaut. Sie kniff die Augen zusammen und ging ganz dicht an das Fliegengitter heran, als könne sie sich so zwingen, schärfer zu sehen. Doch sie konnte nichts erkennen. Keine Bewegung in der Tintenschwärze, kein Geräusch bis auf das Prasseln des Regens auf dem Dach über ihr, und es kamen auch keine Blitze mehr, um ihren Eindruck entweder Lügen zu strafen oder ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu vergewissern, dass sie sich nicht getäuscht hatte.
    Sie zog die Vorhänge zu und ging auf ihre Seite des riesigen Betts. Es war dumm, ihren Augen zu trauen. Rein logisch betrachtet, konnte niemand dort draußen sein, mitten im Wald und bei solch einem Wetter; ohne Kontaktlinsen konnte sie kaum drei Meter weit sehen. Das, der Sturm, der grelle Blitz und ihr aufgewühlter Gemütszustand mussten dazu geführt haben, dass sie Dinge sah, die gar nicht da waren.
    Lächerlich. Überhaupt, was für ein lächerlicher Abend.
    Sie blies die Lampe aus und schlüpfte zwischen die Laken. Sie blieb am äußersten Bettrand liegen, schlang sich die Arme um den Körper und vergrub sich in Stephens Hemd, das sie immer noch trug. Sie hörte Marcus schnarchen. Er lag zwei Meter von ihr entfernt auf dem Rücken, und seine roten Locken umrahmten sein Gesicht auf dem Kissen wie die Mähne eines betäubten Löwen.
    Was nun?, dachte sie. Was nun?
    Sie hatte nicht die blasseste Ahnung. Das Einzige, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass der Dschinn, als wäre er in der zerschlagenen Whiskyflasche eingesperrt gewesen, jetzt frei war und dort draußen mit dem Donner und den Blitzen wütete, und dass sie nicht darauf hoffen konnte, er würde sich freiwillig wieder in Gefangenschaft begeben.

22
    B ella hatte es Alice Neel zu verdanken, dass sie von deformierten Frauen träumte, die sich Babys über die faltigen Schultern warfen, und von Zwillingen mit Speckrollen wie Luftballons, die sich auf einem zerknitterten Bettüberwurf wälzten. Immer wieder rissen die grellen Blitze sie halb aus dem Schlaf, und ein unablässiges Grunzen und Scharren draußen unter ihrem Fenster bescherte ihr eine schlaflose Stunde, während der sie mit der Bettdecke über dem Kopf dalag und sich einzureden versuchte, dass es nur ein Tier aus dem Wald war, kein Psychopath, der gerade die Hauswand zu ihrem Zimmer hochkletterte.
    Die Krönung ihrer lausigen Nacht war, dass sie um fünf Uhr früh aufwachte. Sie lag im wässrigen Morgenlicht und fand keinen Schlaf mehr, weil sie Angst hatte, nicht rechtzeitig für ihre Verabredung mit Sean nach Trout Island zu kommen. Sie wusste nicht mehr genau, ob es während dieses frühmorgendlichen Dösens war oder vorher, dass sie auf dem Flur vor ihrem Zimmer Schritte hörte.
    Um acht lockten köstliche Düfte sie schließlich aus dem Bett und nach unten in die Küche, wo Stephen mit dem Rücken zu ihr in Joggingshorts und engem T-Shirt am Herd stand.
    »Morgen«, grüßte sie. Stephen zuckte zusammen.
    »Entschuldige«, sagte er. »Du hast mich erschreckt.«
    »Riecht gut.«
    »In der Kanne ist Tee.« Er deutete zur Kücheninsel, wo eine große, bauchige Teekanne mit einem gestrickten Teekannenwärmer stand. »Ich habe nie

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