Hautnah
hier doch keine Waffe.
»Lara?«, rief Marcus die Treppe hoch. »Alles in Ordnung da oben?«
Die plötzliche Störung durch die Stimme ihres Mannes ließ sie aufschrecken. Sie schob den Taschentuchstapel zurück an seinen Platz, legte das Foto wieder genau so hin, wie sie es vorgefunden hatte, schloss die Schublade und nahm ihr fleckiges Oberteil, um wieder nach unten zu gehen. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie die Büchse der Pandora geöffnet.
»Du liebe Zeit, ich dachte schon, ein wildes Tier hätte dich gefressen, oder so«, sagte Marcus, als sie auf der Treppe um die Ecke kam. Er stand im Flur, ein volles Glas Rotwein in der Hand.
»Das geht schon«, erklärte er, weil er sah, wie sie sein Glas beäugte. »Das Essen absorbiert den Alkohol.«
»Wo sind denn alle hin?«
»Stephen ist los, um den Kindern zu helfen. Sie haben sich beschwert, dass sie keine Schlangen finden konnten.«
»Sind sie denn sicher?«, fragte Lara. »Ist es ratsam, aktiv nach Schlangen zu suchen?«
»Er meinte, es gebe nur eine giftige Schlangenart hier in der Gegend, und auch deren Biss sei nicht tödlich. Mokassinschlange oder so ähnlich. Komm. Er hat dir noch was zu trinken eingegossen – da drüben, auf dem Tresen.«
Lara nahm ihren Wein und folgte Marcus auf die hintere Veranda. Nach der Düsternis im Haus musste sie im Sonnenlicht blinzeln. Der Garten hinter dem Haus bestand aus einer wilden, mit Büschen bewachsenen Wiese. Dahinter stand ein Hühnerhaus, an dessen Wand Holzscheite sauber zu einem Stoß aufgeschichtet waren. Stephen und Olly hockten neben dem Holzstoß und stocherten mit einem Stock darin herum. Bella hielt Abstand und hatte Jack fest an der Hand.
Lara fiel auf, dass Stephen dieselbe Körperhaltung hatte wie ihr Sohn. Spiegeln – war das nicht die Bezeichnung dafür? Der Versuch, jemanden für sich einzunehmen, indem man seine Gesten nachahmte. Und es schien zu funktionieren. Für gewöhnlich war Olly bei Erwachsenen wortkarg und abweisend, aber mit Stephen redete er, als wären sie beste Freunde. Vielleicht hing es auch eher damit zusammen, dass Stephen es als berühmter Filmstar leichter hatte als die meisten anderen Menschen, die Gunst ihres Sohnes zu erringen.
»Sie ist da reingekrochen, Mum.« Bella verzog das Gesicht. »Sie ist ungefähr einen Meter lang und echt eklig …«
»Die ist vollkommen ungefährlich«, versicherte Olly.
»Da!« Stephen trat vom Holzstoß zurück und präsentierte ihnen die Schlange auf dem Ende seines Stocks. Sie hatte sich um den Stock gewickelt und stieß aufgebracht mit dem Kopf hin und her, als suche sie nach dem, der sie aus ihrem kühlen Versteck gezerrt hatte. Sie war mindestens so lang, wie Bella geschätzt hatte. Als sie sich entrollte und vom Stock ins Gras glitt, taten alle einen Satz zurück.
»Woah!«, machte Olly. Und dann bückten er und Stephen sich, um zuzusehen, wie die Schlange einer Schnur aus Quecksilber gleich über die Wiese zu einem Baum floh.
»Steht dir gut«, sagte Stephen zu Lara, als er sich aufrichtete. Seine Hand lag auf Ollys Schulter.
»Was?«
»Das Hemd. Die Farbe passt wirklich ausgezeichnet zu dir.«
»Wie groß ist dein Grundstück denn insgesamt?«, fragte Marcus und sah sich um. Die Wiese war ungefähr so groß wie ein Fußballplatz und auf allen Seiten von dichtem Wald umgeben. Einige Wege, breit genug für geländegängige Fahrzeuge, verschwanden zwischen den Bäumen in der Dunkelheit.
»Gut zweitausend Hektar«, erwiderte Stephen. »Größtenteils Wald, aber wenn man dort weitergeht«, er zeigte auf einen Weg zu ihrer Rechten, »kommt man zu einem Teich, in dem man fantastisch schwimmen und angeln kann. Irgendwann können wir mal in meinem Wrangler hinfahren. Oder wir laufen. Es ist ungefähr eine Meile.«
»Da würde ich sehr gerne mal hingehen«, sagte Lara, »und schwimmen.«
»Dann ist es abgemacht«, versprach Stephen.
Ein Rascheln zwischen den Bäumen hinter ihnen ließ sie erschrecken. Lara sah nackte Angst über Stephens Gesicht zucken, als er herumfuhr, um zu sehen, was das Geräusch verursacht hatte.
»Schau mal, Jack, noch ein Reh!«, rief Bella und zeigte auf den weißen Bauch des Tieres, das sich langsam entfernte. »Mit einem Babyreh.«
»Das heißt Kitz«, verbesserte Olly.
»Babyreh«, beharrte Jack fest.
»Okay. Nur ein Reh«, sagte Stephen, an niemand Bestimmtes gerichtet. Außer Lara schien keiner die Erleichterung wahrzunehmen, die aus seinen Worten sprach. Dann drehte er sich lächelnd zu
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