Havelgeister (German Edition)
möglich ist?«
Der Glatzkopf musterte ihn durch glasige Augen und schien sich plötzlich über Manzettis Wunsch zu freuen. Breit grinsend entblößte er zwei zurückhaltend ausgestattete Zahnreihen. »Wenn du zu Rosi willst, dann ist das wohl möglich.« Er griff sich in den Schritt, als müsste er dort irgendetwas abwiegen. »Zwanzig mit und fuffzig ohne.«
Manzetti verstand das Angebot nicht sofort. »Was zwanzig mit und fünfzig ohne?«, fragte er deshalb.
Der Glatzkopf schien für derlei Tiefgründigkeit keine Antenne zu haben. »Mann!«, raunzte er, während seine linke Hand mehrmals gegen einen Kreis schlug, den er aus Daumen und Zeigefinger der rechten Hand geformt hatte. »Zwanzig mit Gummi und fuffzig ohne. Bist wohl zum ersten Mal hier, watt?«
Mein Gott, dachte Manzetti. »Nein, nein«, sagte er schnell, den Blick noch immer auf das Fingerspiel des Kerls gerichtet. »Derlei Dienste interessieren mich nicht. Es geht um die Bewilligung des Kindergeldes für Kevin«, log er und war erstaunt über den eigenen Einfallsreichtum. Damit konnte er das Zücken des Dienstausweises noch eine Weile hinausschieben. »Darüber möchte ich mit Frau Schuster reden. Wäre das vielleicht möglich?«
Die Augenbrauen des Typen zogen sich bedrohlich zusammen. »Watt iss mit dett Kindergeld?«
»Es soll erhöht werden.« Manzetti setzte ein freundliches Lächeln auf. »Auf Weisung der EU«, schob er nach, denn den Gremien in Brüssel traute der gewöhnliche Europäer einfach alles zu, selbst dass die Abgeordneten in ihrem weinseligen Zustand für alle Mitgliedstaaten das Kindergeld erhöhten. Niemand würde deshalb tiefschürfende Fragen stellen.
Das unrasierte Gesicht des Kerls erhellte sich. »Rosi«, rief er in die Wohnung, »Besuch für dir.«
Mit einem Ruck zog er das Türblatt auf und knallte es links an die Wand. »Bitte, der Herr.«
Manzetti trat ein und wurde in die kleine Küche geführt, deren Inventar aus zwei winzigen Einbauschränken, einer übervollen Spüle, einer über Eck laufenden Sitzbank mit Tisch und einer Frau bestand. Die hatte lediglich einen fleischfarbenen BH, einen schweißgetränkten Slip und eine Zigarette an. Alles zusammen sonderte einen Geruch ab, der dem eines unter Hochwasser leidenden Kellergewölbes in nichts nachstand.
»Zieh dir watt an, du Schlampe«, empfahl der transpirierende Fleischberg und schlug Manzetti noch immer hocherfreut auf die Schulter. »Du hast janz feinen Besuch, hast du.« Dann zog er sich mit einem angedeuteten Diener zurück und hinter sich die Tür scheppernd ins Schloss.
Nun war Manzetti mit Kevins Mutter allein. »Hallo, Frau Schuster«, sagte er und versuchte irgendein Lebenszeichen in ihren schläfrigen Augen auszumachen.
»Watt willst’n?«, fragte auch sie und nuckelte an der Zigarette, die zwischen zwei dunkelgelben Fingern steckte und eigentlich nur noch Filter war.
»Frau Schuster, ich komme wegen Kevin.«
Ihre Augen zuckten ganz kurz auf, verfielen aber gleich wieder in die bisherige Lethargie. »Was hat er denn wieder angestellt?«
»Nichts. Er hat nichts angestellt.«
Sie nickte. Der Dunst in ihrem Kopf schien sich zu lichten. »Und um mir das zu sagen, kommen Sie extra hierher?«
»Nein. Ich mache mir Sorgen um Ihren Sohn. Er wird vermisst, das wissen Sie doch.«
Sie musste es wissen, denn sie hatte ihn ja als vermisst gemeldet. Ihr Unverständnis über die Situation schien trotzdem zu wachsen. Sie sah aus, als begriffe sie überhaupt nicht, was Manzetti gerade von ihr wollte.
»Waren nicht Sie es, die die Polizei verständigt hat?«, fragte er.
Ein erschöpftes Kopfschütteln.
»Wann war Kevin denn das letzte Mal bei Ihnen?«
Sie sah nach unten und tippte sich auf einzelne Finger. »Vor vier Tagen? Manchmal kommt er, wenn Gerd in der Kneipe ist. Aber nur manchmal.«
Manzetti nahm an, dass dieser Gerd jetzt im Wohnzimmer saß, vor einem höllisch lauten Fernsehapparat.
»Und wo hält er sich sonst auf?«
»Weiß nicht. Oft ist er bei einem Freund. Manchmal bei meiner Mutter.«
Manzetti zückte sein Notizheft. »Wo finde ich denn Ihre Mutter?«
»Draußen in Brielow«, sagte sie und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. »Hat ein Haus dort.«
»Würden Sie mir freundlicherweise noch den Namen Ihrer Mutter verraten? Heißt sie auch Schuster?«
Als hätte Manzetti einen Schalter berührt, erwachte Kevins Mutter plötzlich. Das Blut in ihrer Halsschlagader begann deutlich sichtbar zu pulsieren. »Boll«, stieß sie hervor.
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