Havelgeister (German Edition)
der Papst hat sich damit abgefunden, dass wir seinem Herrn und Meister ein bisschen ins Handwerk pfuschen.«
»Ich denke da auch eher an eine andere Religion.«
»Zum Beispiel?«
»Den Islam.«
»Können Sie auch ausschließen. Selbst in islamischen Staaten wird die Organspende als Akt der Nächstenliebe verstanden. Die Vorraussetzungen sind fast die gleichen wie in Deutschland.«
Manzetti zuckte mit den Schultern. »Und der Junge? Trauen Sie Lucas Feuerbach eine solche Tat zu? Sie haben ihn vorhin gesehen?«
»Manzetti!« Bremer bot seinem Partner erneut seinen Flachmann an. »Haben Sie wirklich kein Herz mehr?«
Dieses Mal griff Manzetti zu, nahm einen Schluck und schüttelte sich. Dann rief er nach Sonja.
»Was ist?«, fragte sie, als sie zwischen ihm und Bremer erschien.
»Ich fahre jetzt zu den Eltern des anderen Burschen aus der Crew, dieses Kevins … wie heißt er noch?«
»Schuster. Willibald-Alexis-Straße 243.«
»Danke. Wann ist er noch mal als vermisst gemeldet worden?«
»Gestern gegen dreiundzwanzig Uhr.«
Manzetti bedankte sich, wandte sich in die Richtung, in der die Einsatzwagen standen, und stapfte los.
***
Am Buchhochhaus bog Manzetti nach rechts ab, fuhr die Bebelstraße entlang, die ihn in wenigen Minuten hinaus nach Hohenstücken bringen würde, einer Trabantenstadt, die seit Jahren mehr und mehr zu einem Pulverfass wurde. Daran änderten auch die verzweifelten Versuche engagierter Anwohner oder einzelner Lokalpolitiker nur wenig. Im Gegenteil. Dieser Stadtteil wurde systematisch zu einem Auffangbecken für Leute, die man zunehmend der Unterschicht zuordnete oder die einen Migrationshintergrund hatten, wie Politiker sich gerne auszudrücken pflegten, wenn sie über Menschen sprachen, die aus dem EU-fernen Ausland kamen. Diese Begrifflichkeit hatte ungefähr so viel Charme, wie einen Afrikaner farbig zu nennen, wo doch jeder wusste, dass Afrikaner schwarz oder braun waren, aber auf keinen Fall farbig.
Aber auch solche Diskussionen änderten wenig an den wahren Verhältnissen in Hohenstücken, das längst zu einer Parallelgesellschaft geworden war. Hier gab es nichts, was Jugendliche dort halten oder von grobem Unfug abbringen konnte. Keine Clubs, keine Disco, nur Plattenbauten so weit das Auge reichte. Einen Straßenzug beherrschten vietnamesische Zigarettenhändler, den nächsten schwarzafrikanische Banden, die mit Drogen dealten. Dazwischen thronten wolgadeutsche Jugendliche, die mit dem Messer geschickter umgingen, als mit der Zunge. Deutschen blieb in diesem Spiel oft nur die Rolle des Kunden oder des Opfers.
Stiefelgasse 243, das war die Adresse, die ihm Sonja genannt hatte. Das war der Name, den der Volksmund der Willibald-Alexis-Straße gegeben hatte. Denn dort hatten bis vor zwanzig Jahren, als Brandenburg noch Garnisonsstadt war, fast ausschließlich Armeeangehörige gewohnt, was schließlich zu dem markanten Beinamen geführt hatte. Hier lebte nun der Junge, der seit gestern als vermisst galt. Ein typischer Plattenbau, grauer Beton, frei von architektonischer Kreativität.
Manzetti klingelte bei Schuster und wartete. Aber worauf? Die Wechselsprechanlage vermittelte nicht den Eindruck, als ginge sie noch irgendeinem Job nach. Also legte er selbst Hand an, drückte die Tür auf, bis sie quietschend nach innen schwang.
Das Treppenhaus sah nicht besser aus, als die Gebäude außen. Es glich mehr einer Ausstellungshalle, wenngleich es sich um reichlich naive Kunst handelte. Kein Quadratzentimeter war von Graffiti verschont geblieben, manche Buchstabenkombinationen, von den Sprayern Tags genannt, tauchten sogar immer wieder auf. Manzetti suchte eine bestimmte Zeichnung und wurde schnell fündig. Ein nach links schauender Weißkopfseeadler. Er erwischte sich dabei, wie sein Gehirn ganz Ketzür nach diesem Tag absuchte und wie er sich freute, als eine Fehlermeldung kam.
Er legte die Finger auf die schwarze Plaste des Handlaufes und zog sich bis in die vierte Etage. Der Mann, der kurz nach dem Klopfen das Türblatt aufriss, war mindestens genauso groß wie Manzetti und ebenso glatzköpfig. Allerdings schien es dem Kerl nicht generell an Haaren zu mangeln. Aus Ohren und Nase wuchs dichter Flaum, ganz zu schweigen von den übel riechenden Büscheln, die seitlich aus den Achselhöhlen quollen.
»Watt willst’n?«, fragte Mister Tausendschön den Abstand suchenden Manzetti.
Der räusperte sich und zwang sich, durch den Mund zu atmen. »Ich möchte zu Frau Schuster, wenn das
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