Havelgeister (German Edition)
zuvorgekommen bin?« Dann schüttelte er den Kopf.
Manzetti kannte Bremer schon eine halbe Ewigkeit. Beide hatten in den letzten Jahren wie Partner zusammengearbeitet und auch hin und wieder ein persönliches Wort gewechselt. Und es hatte zumeist viel Spaß gemacht, mit dem nicht immer ganz nüchternen Rechtsmediziner zu arbeiten. Sah man über seine Schwäche hinweg, war Bremer nämlich ein Genie. Ein messerscharf analysierender Trinker oder ein trinkender Analytiker. Die Reihenfolge war dabei eigentlich egal und hing auch immer ein bisschen von seiner Tagesform ab. Jedenfalls war Bremer ein exzellenter Wissenschaftler und verfügte darüber hinaus über die Gabe, Menschen nahezu immer richtig zu beurteilen. Auch dann, wenn er selbst die Person der Betrachtung war.
»Nein«, antwortete Bremer und erhob sich. »Mein Frühstück habe ich immer dabei.« Er machte ebenfalls zwei Schritte und postierte sich auf der anderen Seite der Bank. Dann zog er einen Flachmann aus der Jackentasche und bot den ersten Schluck Manzetti an.
Der lehnte dankend ab. »Weshalb dann?«
Bremer suchte den Blick des Fotografen, der bis eben Dutzende Bilder gemacht hatte. Als der nickte, zog er sich hauchdünne Gummihandschuhe über. Mit der rechten Hand griff er in den offenen Brustkorb von Nepomuk Böttger und angelte einen blutverschmierten Batzen heraus. Manzetti hatte allergrößte Mühe, den aufkeimenden Würgereiz erfolgreich zu unterdrücken.
Der Klumpen war das reinste Ekelwerk. Vollständig von dunklem und bereits getrocknetem Blut überzogen, glänzte es fast schwarz im gleißenden Licht der Scheinwerfer. Als hätte jemand eine Schicht Klarlack aufgesprüht. Bremer ging zu einem abgestellten Kanister, hielt den Klumpen unter den Wasserstrahl und kam nach wenigen Augenblicken mit einem grauen Etwas zurück.
»Warum?«, fragte er und erwiderte Manzettis Blick. »Weil ich Sie schlachten werde, wenn Sie noch einmal so herzlos meinen Morgen verderben.« Dann grinste Bremer über die gesamte Breite seines Gesichts.
Manzetti wurde sofort klar, dass Bremer den Stein bereits beim ersten Blick auf die Leiche erkannt haben musste. Wie immer hatte der Rechtsmediziner dieses Detail vorerst aber verschwiegen, als gelte es einen gezielten Plot zu setzen.
»Und das echte Herz?«, fragte Manzetti.
»Ist weg«, antwortete Bremer. »Wenn Ihre Leute es nicht irgendwo im Gebüsch finden, dann hat es unser Mörder wohl mitgenommen.« Bremer strich mit der flachen Hand über seine Glatze und reichte Manzetti mit der anderen den Stein. »Er hat es einfach hierdurch ersetzt.«
Manzetti winkte ab. Er war nicht in der Stimmung, hier etwas zu berühren, und schon gar nicht ein Ding, das noch vor wenigen Sekunden seinen Magen in höchsten Aufruhr versetzt hatte.
»S.B. steht da drauf. Haben Sie eine Ahnung, was das bedeutet?«
Die hatte Manzetti nicht und ging deshalb gar nicht auf die Frage ein. »Organspende oder Psychopath?«, fragte er stattdessen.
»Das Herz ist ihm nicht sehr professionell herausgenommen worden. Wurde mehr herausgerissen. Ich tippe daher eher auf einen Psychopathen.«
»Also keine Form von irrwitziger Organspende.«
»Nein«, behauptete Bremer und er klang überzeugend. »Sämtliche Blutgefäße sind zerstört. Außerdem war es nicht sein eigenes Herz. Das kann man nicht noch mal verpflanzen.«
»Was heißt, es war nicht sein eigenes Herz?«
»Na, ganz einfach. Nepomuk Böttger lebte bis zu seinem Tod mit einem Spenderherz. Und das hat ihm jetzt jemand herausgerissen.«
Manzetti kniff ungläubig ein Auge zu. »Und das sehen Sie, obwohl es gar nicht mehr da ist?«
»Manzetti«, raunte Bremer in den Morgenhimmel.
»Ist ja gut. Ich glaube Ihnen.« Manzetti strich mit Daumen und Zeigefinger über das unrasierte Kinn. »Der Spender kann es sich ja nicht wiedergeholt haben, oder?«
»Kluger Junge«, lobte Bremer. »Die Familie auch nicht, denn die erfahren in der Regel nicht, wem das Organ eingesetzt wird.«
»Und außerhalb der Regel?«
Bremer setzte sich wieder auf seinen Regiestuhl. »Und außerhalb der Regel holen sie sich das Herz auch nicht wieder. Wenn kein Spenderausweis vorliegt, müssen die Familienangehörigen nämlich einer Entnahme zustimmen. Und warum sollten sie ihre Entscheidung oder die ihres spendenden Familienmitglieds später rückgängig machen? Was hätte das für einen Sinn?«
»Das weiß ich nicht«, gab Manzetti zu. »Vielleicht religiöse Gründe?«
Bremer winkte ab. »Ganz sicher nicht. Selbst
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