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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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welche Verkleidung sie auch immer wählten.
    »Na, Brötchen holen?«, fragte der Fahrer durch die heruntergelassene Scheibe.
    Manzetti sah sich den jungen Kollegen ganz genau an. Der wirkte groß gewachsen hinter seinem Lenkrad, fast so groß wie er selbst, war sehr stabil gebaut und trug den obligatorischen Ohrring. Seine Haut war von jugendlicher Akne gezeichnet, man hatte ihn während der Schulzeit bestimmt reichlich gehänselt dafür.
    »Was geht’ s euch an, Kollegen?«, fragte Manzetti und blieb auf dem Scheitelpunkt der Brücke stehen. Es war noch so früh am Morgen, dass weit und breit niemand zu sehen war.
    »Was heißt hier Kollegen? Wir sind böse Jungs und suchen jemanden, den wir abziehen können.«
    »Wie habt ihr mich gefunden?«, fragte Manzetti, ohne auf die Bemerkung des LKA-Mannes einzugehen.
    »Zufall. Wir patrouillieren hier schon die ganze Nacht, aber du bist das erste geeignete Opfer, das uns vor die Flinte läuft. Du hast bestimmt ein teures Handy, das du uns für ein paar Tage leihen kannst, oder? So feine Pinkel wie du können sich doch gleich ein neues kaufen.«
    Mitten im Satz stoppte der BMW und der Beifahrer schwang sich auch schon über die Motorhaube. Ein Gigant von Wuchs.
    Manzetti, für den die Situation auf einmal bedrohlich wurde und der sich gar nicht mehr so sicher war, ob die beiden wirklich Beamte des LKA waren, zog es vor, weiterzugehen. Er würdigte den Riesen dabei keines Blickes.
    Aber der blieb hartnäckig, packte Manzetti am Kragen. »Hast du nicht gehört die Frage von mein Kollege. Er will haben dein Handy. Aber dalli.« Dann hatte der Typ plötzlich ein Messer in der Hand. Woher das auch immer gekommen war. Es war so groß, dass es in keine Hosentasche passte.
    Als die Messerspitze über Manzettis Adamsapfel ritzte, löste das bei ihm einen ungewollten Reflex aus. Er musste heftig schlucken.
    »Nu pogadi. Wo ist Handy?«, schrie der Riese.
    Manzetti zog mit der linken Hand das Sakko auf und deutete mit der rechten auf die Innentasche. Der bullige Russe, Manzetti ging davon aus, dass es einer war, wartete keine Sekunde und griff in die Tasche.
    »Das ist komisches Handy. Will anderes«, schrie der Russe und stach mit seinen scharfen Augen wieder in Manzettis Seele.
    Woher wusste dieser Gangster, dass er zwei Handys bei sich trug? Angeboten hatte er ihm die Tasche mit dem Prepaid-Handy, das Bremer gestern besorgt hatte. Sein eigenes Handy wollte er lieber behalten.
    Aber der Russe holte es schon aus der anderen Innentasche ans Licht. »Feines Teil«, sagte er und drehte es prüfend hin und her. »Zwar nicht mehr der neuste Stand der Technik, aber alles andere als schlecht.« Der junge Russe, der mittlerweile akzentfreies Deutsch sprach, sah Manzetti nun aus warmen, ein wenig mitleidigen Augen an. »Für den Außendienst taugen Sie nicht, Herr Kollege. Wenn Sie schon ein Prepaid-Handy für Ihre Mission benutzen, dann sollten Sie Ihr eigenes nicht mit sich herumtragen. Das orten wir auf fünfzig Meter genau.« Dann trat der junge Mann an das Brückengeländer und ließ Manzettis Handy in die Havel fallen. »Weisung meiner Chefin, damit Sie nicht noch mal denselben Fehler machen.«
    Manzetti war sprachlos. Mit offenem Mund sah er zu, wie der Riese mit einem angedeuteten militärischen Gruß wieder in den BMW stieg, und fühlte sich außerstande, auch nur einen Schritt zu machen.
    »Und die Kennzeichen«, rief ihm der Fahrer zu, »brauchen Sie auch nicht auf dem internen Weg zu prüfen. Die haben wir vor einer halben Stunde von einem Ford Focus geschraubt. Wir taugen nämlich für den Außendienst.«

41
    Wegmann war mit schwerem Kopf aufgewacht. Fatmire hatte, kaum dass sie gegen zwei Uhr die Wohnung der Taxifahrerin betreten hatten, eine Flasche Raki rrushi aus dem Kühlschrank geholt, den fast achtzigprozentigen Weinschnaps, der selbst noch verdünnt mächtig im Hals brannte. Den Korken hatte sie in der Manier eines alten Bauern mit den Zähnen herausgezogen, schließlich sei sie jetzt ein Mann, hatte sie auf Wegmanns verwunderte Blicke geantwortet. Und im Kososvo öffnen Männer Flaschen auf die traditionelle Art.
    Bei Fatmire schien alles Tradition zu sein, jedenfalls äußerte sie sich so, wenn Wegmann nach irgendeinem Umstand oder mit einem lang gedehnten Warum nach einer Erklärung fragte. Ist so seit vielen Generationen, hieß es dann lediglich.
    Jetzt war er also wach und saß mit stechenden Kopfschmerzen auf der Kante von Fatmires Bett. Sein Mund war trocken und

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