Havelgeister (German Edition)
der Geschmack auf der Zunge an Widerwärtigkeit kaum zu übertreffen. Während des Telefonates mit irgendeinem Sebastian, der ihn im Auftrag von Manzetti rausgeklingelt hatte, war ihm ständig übel und er hatte allergrößte Mühe gehabt, das gallige Nichts in seinem Magen zu behalten. Deshalb hatte er auch nicht weiter nachgefragt, als Sebastian ihm einen Auftrag durchgab. Das Wort Codex Sinaiticus hatte er aufgeschnappt, und das musste reichen.
Er schlurfte in die Küche und stellte sich neben Fatmire, die in Jeans und Pullover neben dem Herd stand und in einer unverständlichen Sprache vor sich hin sang. Sie musste auch schon im Bad gewesen sein, ihr sehr kurz geschnittenes Haar duftete nach irgendeinem blumig riechenden Öl.
»Was kochst du da?«, fragte Wegmann und beugte sich nach vorn, um die nächste Krampfattacke aus seinem Inneren abzuwehren.
»Shpeca me gjize«, sagte Fatmire und blickte kurz über die Schulter. »Das ist Paprika in Milch eingelegt. Hilft gegen Kater und bringt dir die Manneskraft zurück.«
Wieder krampfte sich Wegmanns Magen zusammen und setzte seinem armen Körper kurz, aber heftig zu.
»Geh duschen und steck dir vorher den Finger ganz weit in den Hals. Dann bist du in zehn Minuten wieder auf dem Damm, wie man das bei euch in Deutschland sagt.«
Es dauerte zwar eine Viertelstunde bis er mit all dem fertig war, aber da er Fatmires Rat befolgt hatte, ging es ihm nun etwas besser.
»Stört es dich eigentlich, wenn ich so in der Küche sitze?«, fragte er und sah auf das Badehandtuch, das er um die Hüften geschwungen hatte. »Schließlich bist du eine Muslima, oder?«
»Wenn du erst ficken willst«, antwortete Fatmire, und sah Wegmann mit einer Selbstverständlichkeit an, die ihn verwunderte, »dann nicht. Wollen wir aber erst frühstücken, dann stört es mich als Frau genauso wie es wahrscheinlich deine Mutter stört.«
Wegmann stand auf und kehrte wenig später mit Hose und Hemd zurück. »Entschuldige, aber ich dachte, wir seien seit letzter Nacht etwas vertrauter.«
»Warum sollten wir das?«, fragte Fatmire und stellte zwei Teller auf den Tisch.
In dunkler Milch schwamm irgendein Zeug und Wegmanns Magen meldete sich sofort wieder. »Hast du vielleicht einfach trockenes Brot? Ich bin nicht so der Frühstückstyp.«
Als hätte sie damit gerechnet, griff Fatmire hinter sich und stellte einen gefüllten Brotkorb neben seinen Teller.
»Danke«, sagte er. »Du hast gefragt: Warum sollten wir das?«
»Ja, denn letzte Nacht war nichts, was Vertrauen schaffen könnte. Für die Übernachtung bezahlst du, und den Raki habe ich dir gegeben, weil es bei uns heißt: Das Haus eines Albaners gehört Gott und dem Gast.«
»Dann war gar nichts zwischen uns?«
Fatmire musste lächeln. »Nein. Deine Nudel hing genauso schlaff herum wie deine Zunge und sonderte denselben glänzenden Faden ab.«
Wegmann hatte plötzlich das Gefühl, als stünden sein Hals und seine Wangen in Flammen. Er musste sich wie ein Idiot verhalten haben.
»Ihr deutschen Männer seid mir schon ein paar Helden. Kommt hier an, trinkt drei Raki und brecht anschließend über dem Sockenhalter ab. Ihr vertragt nichts, nur euer dünnes Bier, und wenn ihr das trinkt, rennt ihr dauernd pinkeln.«
»Und eure Männer?«, fragte Wegmann gereizt. »Die vertragen wohl mehr und stehen dann noch wie eine Eins, was?«
Sie lächelte ihn etwas breiter und ein wenig herausfordernd an. »Sieh mich an. Sehe ich so scheiße aus wie du?«
»Ich habe ja auch von euren Männern gesprochen.«
»Ich bin ein Mann«, sagte Fatmire und erntete dafür den Blick, der ihr in Westeuropa immer wieder begegnet war, sobald sie diese Erklärung abgegeben hatte. »Du glaubst mir nicht?«, fragte sie.
Wegmann schüttelte den Kopf, wohl auch, weil er sich im Moment nichts sehnlicher wünschte, als dass Fatmire gelogen hatte. Er wollte sich nicht eingestehen müssen, dass er sich an einen Mann herangemacht hatte, auch wenn es zum Letzten wohl nicht gekommen war.
»Du musst noch viel über den Kosovo lernen, mein Guter. Hier leben zumeist albanische Großfamilien. So wie die, aus der ich komme. Und die leben nach dem Kanun, der schon über viele Generationen hinweg familiäre und gesellschaftliche Verhaltensregeln festlegt. Und bei der Erbschaft heißt es, dass weder bei Eltern noch bei Ehegatten die Frau als Erbe eintritt. Deshalb bin ich nach dem Tod meines Vaters nach Deutschland gegangen, denn mein einziger Bruder hatte die Aufgabe übernommen,
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