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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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kam zum Stehen.
    »Für achthundert kriegst du Fatmire sofort und mit Kost und Logis.« Dann riss sie das Lenkrad herum, wendete das Taxi und donnerte in die entgegengesetzte Richtung nach Priština.

39
    Kevin hatte Stunden gebraucht, um die richtige Stellung der Zunge in seiner Mundhöhle zu finden. Und richtig bedeutete nichts anderes als möglichst wenig schmerzhaft.
    Zu Anfang, kurz nachdem dieser Typ ihm das Metallteil aus dem Mund genommen hatte, das ihm ständig die Kiefer auseinander drückte, hatte er sich kaum getraut, die Zunge abzulegen, denn egal was er auch tat, sie stieß entweder an die Innenseiten der Wangen oder an den Gaumen. Und das galt es zu verhindern, bei jeder Berührung brach sofort ein Feuer aus, das sich kaum mehr löschen ließ. Jede wunde Stelle, und seine Mundhöhle schien aus nichts anderem zu bestehen, brannte lichterloh, als liefe ein dünner Fluss Salzsäure stetig darüber hinweg.
    Seit ein paar Minuten biss er nun mit den Schneidezähnen auf die wunde Zunge und hielt sie damit fest. In dieser Position wollte er so lange verharren, bis ihn vollends die Kräfte verlassen würden. Er wurde zusehends schwächer, seine Nieren schmerzten, als tobten sich darin Hunderte kleiner gefräßiger Käfer aus, und sein Mund war trocken wie die Wüste Gobi. Nicht einen einzigen Tropfen Speichel vermochte er zu produzieren.
    Er lauschte in die Stille und wünschte sich den Tod herbei, bevor der Typ wiederkommen würde. Beim letzten Mal hatte er Kevin derart heftig verprügelt, dass ihm zeitweise das Bewusstsein geschwunden war. Noch immer pulsierten die Stellen, auf die der Typ mit einem Schlauch eingeprügelt hatte. Und bei jedem Schlag hatte er ihm zugeschrien, dass der eine Hieb für seinen Vater war und der andere für seine Großmutter. Aber was hatten die damit zu tun? Seinen Vater kannte Kevin überhaupt nicht und seine Großmutter erst seit einem guten Jahr. Seit dem Tag nämlich, als sie aus dem Kosovo gekommen war und ihn an der Wand angesprochen hatte.
    Plötzlich hörte Kevin ein Geräusch. Ein tiefes Knurren, das sehr dicht war. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es sein Magen war. Ein richtiger Krach in dieser heißen Hölle, doch niemand außer ihm konnte den hören. Seine Situation schien ihm aussichtslos. Er verlor wieder das Bewusstsein, die Schneidezähne in die Zunge gepresst.

40
    Die Nacht war anstrengend gewesen. Alle drei waren sehr müde, Manzetti und Sebastian durch den stundenlangen Blick auf flimmernde Monitore und Bremer durch zu reichhaltigen Grappagenuss. Niemand würde ihn jetzt wecken können, weshalb Manzetti entschied, eine Auszeit zu nehmen. Er verabschiedete sich von Sebastian für die nächste Stunde und schlenderte hinunter zum Heineufer. Sein Blick fiel auf den im Licht der Straßenlaternen liegenden alten Salzhof, nur durch die Havel von ihm getrennt. Er schüttelte den Kopf über den Anblick. Grauer Beton soweit das Auge reichte, erst in diesem Jahr anstatt der grünen Böschung ans Ufer gekippt. In Erwartung der Bundesgartenschau, wie es hieß, bei der man sich wohl auf das Zeigen von glatten Betonflächen geeinigt hatte, und damit leicht auf grünen Rasen verzichten konnte. Warum auch nicht, schließlich ließ sich dieser Untergrund immer wieder neu streichen, im Zweifel sogar weiß, wenn zu Weihnachten wieder einmal der Schnee fehlen sollte.
    Manzetti steckte die Hände tief in die Sakkotaschen und schritt langsam über den asphaltierten Fußweg. Er tat sich schwer damit, eine Linie zu finden. Zu viele Wege waren nach Sebastians Computerangriff begehbar, und alle liefen sie in andere Richtungen. Die einzige Konstante in den ganzen Dokumenten des LKA war lediglich der Verfasser: Kriminaldirektor Ludwig. Ein Mann mit einer eher unauffälligen Karriere, nicht der Strebertyp, aber der grundsolide Arbeiter, der auch dahin ging, wohin andere nicht wollten. Zum Beispiel von 1999 bis 2003 in den Kosovo. Mehr war der digitalisierten Personalakte von Ludwig auf die Schnelle nicht zu entnehmen gewesen, weshalb Manzetti jetzt Sebastian etwas Zeit einräumte. Er selbst kannte Ludwig nicht, war ihm vor seiner gestrigen Vernehmung noch nie begegnet.
    Gerade trat Manzetti auf die Jahrtausendbrücke, als neben ihm ein Auto bremste. Ein schwarzer BMW, besetzt mit zwei jungen Männern. Er brauchte gar nicht auf das Kennzeichen zu gucken, mit Sicherheit war es eines aus der Tarnkennzeichenschatulle des LKA. Man sah es den Spitzbuben an, woher sie kamen, egal

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