Haveljagd (German Edition)
starrte ihn verblüfft an. »Aber was kann sie wissen? Es war doch gar kein Pressevertreter am Blockhaus, und ich habe kein Sterbenswörtchen zu jemandem gesagt. Außerdem steht nicht ein einziger belegbarer Fakt in ihrem Artikel.«
Darüber hatte sich Michaelis auch gewundert, als er am Morgen die Zeitung aufgeschlagen hatte. Er kannte Inka gut und er wusste auch, dass sie wie ein Terrier war, wenn sie Beute in Aussicht hatte. Aber der Artikel war lediglich die Aneinanderreihung wilder Spekulationen und damit eigentlich nicht ihr Stil. Dass sie mehr wusste, als bislang in der Zeitung gestanden hatte, war für ihn klar, aber warum sie damit nicht wenigstens ansatzweise herausrückte, blieb vorerst ein Rätsel. Oder war Inka mal wieder auf einem ihrer Moraltrips? »Das Leben zwingt die Menschen mitunter zu allerlei freiwilligen Handlungen, mein Lieber.«
Manzetti warf Michaelis ein flüchtiges Grinsen zu, offenbar nicht nur wegen des erheiternden Zitats, sondern auch, weil ihm in diesem Gespräch mittlerweile nichts anderes mehr übrig blieb. Gerne hätte er Werner zu packen gekriegt, aber dieser Kerl war wirklich unglaublich. Rhetorisch glich er einem glitschigen Aal, denn er war eher Philosoph als Journalist. Aber von Philosophie lebt es sich nur in Askese, lautete sein Credo, und so hatte Werner irgendwann einen Brotberuf gewählt, den Journalismus. Ansonsten war er ein Unikum par excellence. Soweit Manzetti wusste, besaß Werner lediglich zwei Hosen, eine dunkelbraune Cordhose für den Winter und eine blaue Leinenhose, die er jetzt in den wärmeren Monaten trug. Darüber hinaus bezeichnete er sich gerne als Bibliomane, eine vornehme Umschreibung seiner Leidenschaft, einige der vielen Bücher, die er las, nicht zu kaufen, sondern zu stehlen.
»Das ist übrigens ein Zitat von Stanislaw Lec«, erklärte Michaelis.
»Was?«
»Dass die Menschen in ihrem Leben zu allerlei freiwilligen Handlungen gezwungen werden. Ich will sagen, dass Inka zwar immer vorgibt, den Journalismus als das zu sehen, was er sein sollte, aber im wahren Leben verhält sie sich hin und wieder ein wenig anders.«
»Wie meinst du das?« Manzetti griff wieder nach seinem Glas.
»Journalisten sollten Nachrichten ausgraben und vermitteln, und dabei dem Leser mit ihrer eigenen Meinung nicht auf den Geist gehen. Das vergisst Inka manchmal. Man glaubt es nicht, aber sie hat starke Moralvorstellungen, wenn sie auch völlig von denen der meisten Menschen abweichen. Und sie ist unglaublich ehrgeizig, aber nicht nur um ihrer Karriere willen, sondern auch wenn es darum geht, mit Hilfe ihrer journalistischen Arbeit Missstände aufzudecken. Ich kann mich erinnern, dass sie einmal einem Verbrechen auf der Spur war, das sie bis nach Russland getrieben hat. Das sollte auch so eine Superstory werden, darauf warten wir allerdings heute noch. Jedenfalls gibt es für sie kein Halten mehr, wenn sie einmal Blut geleckt hat.«
»Du stimmst mir also zu, dass sie mal wieder eine Grenze überschritten hat.«
Michaelis drehte eine Hand in der Luft hin und her. »Ich glaube, dass ich ihr dieses Mal Unrecht tun würde, Andrea.«
»Unrecht? Warum?«, fragte Manzetti nach, als hätte er nicht richtig verstanden.
»Weil ich fühle, dass sie dieses Mal an einer großen Sache dran ist. Der Artikel von heute war da bestimmt nur der Aufgalopp.«
»Und woraus schließt du das?«
Michaelis holte tief Luft. »Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass sie mit mehreren Magazinen verhandelt.«
»Mit welchen denn?«
»Dem Cicero und dem Spiegel, und wenn die Interesse bekunden, geht es nicht nur um schmutzige Fingernägel.«
Michaelis klopfte Asche von seiner Hose und kontrollierte ziemlich oberflächlich, ob die Glut einen Brandfleck hinterlassen hatte. Als er wieder aufsah, stieß seine Nase fast an die von Manzetti.
»Was wolltest du wirklich in dem Blockhaus?«
Die Frage, verbunden mit dem Blick eines Habichts, verfehlte die angestrebte Wirkung nicht. Michaelis riss seine Augen auf, als stünde der Leibhaftige vor ihm. »Was soll das heißen, Andrea?«
»Es soll gar nichts heißen. Ich frage mich nur, warum dich jemand, der lange nichts von sich hören ließ, einfach so mir nichts dir nichts anruft, und dich plötzlich in seine Datsche einlädt. Ist das nicht merkwürdig?«
»Findest du?«
»Schon. Du etwa nicht?«
Noch bevor Michaelis antworten konnte, drückte Manzetti den Zigarillo aus und lehnte sich wieder in den Stuhl zurück. »Es gibt schon noch eine Frage
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