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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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zu klären, oder? Und ich hoffe nicht, dass du mich belügst, denn das würde sich wie ein dunkler Schatten auf unsere Freundschaft legen.«
    Michaelis schluckte und hörte sogar für einen kurzen Moment auf zu atmen. »Dann stell sie«, forderte er. »Ich werde dir sagen, was ich weiß. Ohne jegliche Abstriche.«
    »Was wollte Kurt Becher einen Abend vor seinem Tod bei von Woltersbrück?«

6
    Siegward von Woltersbrück stand seit zwanzig Minuten am Fenster des Arbeitszimmers, von wo er gut die Hälfte der Straße einsehen konnte. Es hatte geheißen, der Generalsekretär der Partei komme aus Potsdam und mache bei ihm Zwischenstation, bevor er nach Hannover weiterführe.
    Der Oberstaatsanwalt mochte ihn nicht, diesen Benno Müller. Überhaupt Müller. Das klang so gewöhnlich, war fast schon ein Synonym für den niederen Stand. Aber was nutzten ihm solche Gedanken heutzutage noch? Er konnte sie unmöglich so deutlich formulieren, denn mittlerweile waren ja alle Menschen gleich. Selbst diejenigen, die in den Reihenhaussiedlungen neben dem Stahlwerk aufwuchsen, begegneten ihm ungeniert auf Augenhöhe. Jedenfalls redeten sie sich das wohl ein.
    Als der schwarze Audi auf sein Grundstück bog, trat er ein Stück zur Seite, um nicht den Eindruck zu erwecken, er hätte hinter der Gardine gelauert. Benno Müller stieg aus und kam geradewegs auf die Villa zu. Sein Fahrer, ein korpulenter Mann mit unwahrscheinlich viel Pomade im Haar, blieb dagegen im Wagen sitzen, ließ die Scheibe herunter und produzierte mit seinem Kaugummi rosa Blasen, sobald sein Chef im Haus verschwunden war.
    »Siegward, ich grüße dich.« Müller ging ohne Aufforderung an ihm vorbei, beide Hände in den Taschen seines billigen Anzugs.
    »Guten Morgen«, erwiderte von Woltersbrück den Gruß und vermied nicht ohne Grund die direkte Anrede. Die Unsitte, dass in diesen Kreisen jeder jeden duzte, versuchte er nach Möglichkeit zu umschiffen, auch wenn ihm das nur bedingt gelang. »Wollen wir in den Salon gehen?«
    »Von mir aus«, stimmte Müller zu, der noch immer die Hände in den Hosentaschen versteckt hielt. »Dann geh mal voran in deiner edlen Hütte.«
    Im Salon blieb Müller auf einem der Seidenteppiche stehen und drehte sich im Halbkreis. Dr. von Woltersbrück sah mit Unbehagen auf die Schuhe des Generalsekretärs der Partei, für die er seit gut zwei Monaten einen Kräfte zehrenden Wahlkampf führte, von dessen Ausgang er seit ein paar Tagen aber gar nicht mehr so überzeugt war. In diesem Augenblick fragte er sich allerdings nur, ob dieser Mensch sich die Füße abgeputzt hatte.
    »Ist das dein Opa, oder was?«, wollte Müller wissen und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf das goldgerahmte Gemälde, das über dem Marmorkamin hing.
    Von Woltersbrück schluckte hart und konnte sich nur mit großer Anstrengung im Zaum halten. »Mein Großvater ist nach dem gescheiterten Hitlerattentat von den Nationalsozialisten hingerichtet worden. Das hier ist Baron Friedrich von Woltersbrück, der einst in Diensten des preußischen Königshauses stand. Er war unter anderem Gesandter des Königs am russischen Zarenhof, zu dem von meiner Familie aus auch eine direkte Linie führt.«
    »Ja, ja, ich weiß«, sagte Müller wie beiläufig und setzte sich in einen der Biedermeiersessel. »Ihr Raubritter seid ja wohl alle irgendwie miteinander verwandt. Ich habe mal gelesen, dass es deshalb auch so viele Bluter unter euch gibt. Stimmt das eigentlich?«
    Das war eine blanke Unverschämtheit, auf die der alte Baron höchstwahrscheinlich nur eine Antwort gehabt hätte. Das Duell. Aber auch das wäre dem niederen Rang dieses Mannes unangemessen gewesen. Besser, man erschoss solches Gesindel standrechtlich oder wie eine stromernde Katze irgendwo hinter den Stallungen.
    »Können wir nicht zum eigentlichen Anliegen kommen?«, bat von Woltersbrück unter Aufbietung all seiner mentalen Kräfte. Er war nicht gewillt, solch eine unselige Unterhaltung unnötig in die Länge zu ziehen. Es war schon genug des Guten, dass der Kerl hier im Salon saß, hereingeschneit über das Hauptportal und nicht durch den Personaleingang.
    »Können wir«, sagte Müller. »Hast du nicht mal einen Kaffee, oder so? Du hast doch bestimmt Bedienstete, die das für dich machen. Ein einfacher Kaffee, schwarz und ohne Zucker, würde mir schon reichen.«
    Zögernd setzte sich Dr. von Woltersbrück in Bewegung. Was sollte er machen? Bereits sein Vater hatte beklagt, dass es um die altehrwürdigen

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