Haveljagd (German Edition)
Adelsgeschlechter nicht mehr zum Besten bestellt sei. Bis auf die alte Kammerzofe, die in die Jahre gekommen nur noch die Kleider der Baronin herausgelegt hatte, waren zu Zeiten seines Vaters alle anderen Personen im Status von Angestellten mit ganz normalen Arbeitsverträgen. Und heute gab es nicht einmal mehr die.
Als er aus der Küche zurückkam, stellte er die Kaffeekanne und eine leere Tasse auf den Tisch, ungefähr fünf Meter von Benno Müller entfernt. »Bitte«, sagte er und sah Müller auffordernd an.
»Ja, ja«, sinnierte der. »Heutzutage muss sogar der Hochadel alles selbst machen. Was sind das nur für komische Zeiten?«
Von Woltersbrück schwieg und beobachtete im Augenwinkel, wie der Generalsekretär den Kaffee in die Tasse goss und sich dann wieder in den Sessel setzte.
»Habt ihr wirklich keine Hausangestellten mehr?«, fragte Müller und sah zu ihm herüber.
Von Woltersbrück hatte die Veränderung bei Müller bemerkt. Es kamen zwar noch immer nur gehässige Bemerkungen aus dessen Mund, aber der Ton hatte sich verändert. Er war schneidender geworden, wie auch der Blick des Mannes, an dem in der Partei keiner vorbeikam und den alle zu hassen schienen.
»Nein, haben wir nicht. Auch unser Geschlecht ist in der Demokratie angekommen. Außerdem können wir unseren Haushalt ganz gut selbst führen.« Das hatte hoffentlich gesessen und diesem Möchtegernkrösus den Wind aus den Segeln genommen.
Durch diese Äußerung, die bei Siegward von Woltersbrück sogar ein Lächeln hervorgerufen hatte, wusste Müller, dass der Freiherr da war, wo er ihn haben wollte. Er konnte also mit seiner Belehrung beginnen. Das war allerdings der Sprachgebrauch des Parteivorsitzenden gewesen. Müller selbst bevorzugte klare Worte, und die hießen in diesem Fall: Ich werde ihm gehörig den Marsch blasen, bis ihm der Arsch platzt.
»Ihr seid also in der Demokratie angekommen, sagst du. Aha … Und deshalb stellst du dich ja wohl auch einer Wahl, nämlich der Landtagswahl im September, und du bist sogar der Spitzenkandidat in deinem Wahlkreis, richtig?« Er ließ von Woltersbrück keine Sekunde aus den Augen. Er hatte ihn sozusagen verbal an den Stuhl genagelt, mit Hunderten Nägeln, wie er sie früher als Zimmermann mit großer Freude in jedes Holz gedroschen hatte. Mit dem kleinen Löffel rührte er im Kaffee herum, obwohl weder Milch noch Zucker darin enthalten waren. »Weiß einer wie du überhaupt, wie Demokratie funktioniert?«
Siegward von Woltersbrück sprang auf und ballte die Fäuste. Bei Benno Müller blieb das nicht unbemerkt, es freute ihn sogar.
»Ich verbitte mir diesen Ton!«, schrie von Woltersbrück plötzlich, wobei er am gesamten Körper zu zittern begann, als würden im Salon zwanzig Grad unter Null herrschen. »Ich muss solche diffamierenden Absurditäten nicht dulden. Nicht in meinem Haus.«
Müller sah nur kurz auf. Er war vollkommen unbeeindruckt. »Demokratie funktioniert so: Du lässt dich auf eine Wahlliste setzen und hoffst, dass der Wähler sein Kreuz hinter deinen Namen macht. Sollten nicht genug Kreuze zusammenkommen, hilft dem einen oder anderen, mit dem wir noch Großes vorhaben, auch ein guter Listenplatz. So dass man quasi über den ungepflasterten Weg doch noch ins Parlament rutscht.« Er sah, wie sich von Woltersbrück setzte. »Das ist auch bei uns so, jedenfalls im Regelfall.«
Jetzt stand Benno Müller auf und trat direkt neben von Woltersbrück, dem er jovial eine Hand auf die Schulter legte. Es war ihm, dessen Mutter anderer Leute Dreck hatte wegwischen müssen, vollkommen egal, dass der Parteivorsitzende um Mäßigung gegenüber einem potenziellen Minister gebeten hatte. Für ihn ging es hier um mehr, und seine Schlachtaufstellung war gegenüber dem adligen Popanz klar die bessere.
»Der Regelfall bedeutet aber nicht, dass solche Leute, die nur über die Liste reinkommen, auch gleichzeitig Minister werden.« Müller ging bewusst langsam wieder zu diesem kitschigen Biedermeiersessel. Langsam genug, um dem adligen Schnorrer klarzumachen, dass er, Benno Müller, gerade damit begonnen hatte, sich von ihm abzuwenden. »Kannst du dir dann diese Hütte von deinem spärlichen Sold als Staatsanwalt überhaupt noch leisten?«
Dr. von Woltersbrück sah von seinen Händen hoch. Für einen Augenblick hörte er sogar auf zu atmen.
Auch das war Müller nicht entgangen. »Wenn ich richtig informiert bin, hast du kürzlich den Kredit für deinen Palast hier nur bekommen, weil der Berater
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