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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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nicht wegen eines schwebenden Ermittlungsverfahrens. Zu von Woltersbrück wäre Kurt doch in dieser Sache höchstens als Bittsteller gekommen, und welchen Sinn sollte das haben. Dafür gab es Anwälte, die aus einer ziemlich klar definierten Gesprächsposition heraus agierten, in die ein Beschuldigter nie und nimmer kommen konnte. Von Woltersbrück hätte Kurt abtropfen lassen, wie einen Gummiball. Und selbst wenn Kurt versucht hätte, von allen denkbaren Wegen durch die Juristerei abzuweichen, warum hätte der Freiherr ihn überhaupt empfangen sollen?
    Merkwürdig war das alles schon.
    Michaelis verteilte Käse und Wurst auf die Brötchenhälfte und schlug anschließend das Frühstücksei auf. Dann sah er zu seiner Wirtin. »Lotte, wenn Sie wegen Kinderpornographie angeklagt wären, würden Sie sich dann das Leben nehmen und bei der Gelegenheit auch gleich noch Ihren Mann erschießen?«
    Lotte drehte sich um und starrte ihn mit Augen an, als wollte sie mit dem Fleischklopfer in ihrer Hand sein linkes Auge auch noch schminken. »Ich soll was machen?«
    Blitzschnell zog er den Kopf ein. »Nein, nicht doch. Sie sollen gar nichts machen. Nur rein hypothetisch«, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. »Stellen Sie sich vor, man würde Sie wegen Kinderpornographie anklagen. Was würden Sie in solch einem Fall tun?«
    Lotte entspannte sich nur langsam, kam aber trotzdem zum Tisch, an dem Michaelis gerade genüsslich in zwei Lagen Wurst, zwei Lagen Käse und eine Scheibe Tomate biss, und baute sich wie die letzte Vertreterin des altgriechischen Matriarchats auf. »Wie soll das gehen?«, fragte sie und legte den Fleischklopfer, an dem noch rosa Fleischfasern hingen, vor sich auf den Tisch. »Ich habe keinen Computer und ich habe auch keinen Mann.«
    »Lotte … etwas mehr Fantasie, wenn ich bitten darf.« Er zog das Holzwerkzeug vorsichtshalber zu sich heran.
    »Sie meinen, wenn man mich trotzdem anklagt, obwohl ich nichts gemacht habe?«
    »So ungefähr.« Lotte stützte sich mit zehn Fingern auf der Tischplatte ab. »Das wäre eine riesige Sauerei. Ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat. Gibt’s da so was überhaupt?«
    Er nickte, ohne sie anzusehen, und kaute hörbar an dem nächsten Bissen.
    »Sie meinen, mich kann einfach so jemand anzeigen, obwohl ich gar nichts gemacht habe?«
    Er schluckte hart, dann war der Mund leer. »So einfach natürlich nicht. Aber wenn ich Spuren verschwinden lassen kann, dann kann ich auch welche erzeugen. Nehmen wir also mal an, ich benutze heimlich Ihren nicht vorhandenen Computer, um mir Kinderpornoseiten aus dem Netz zu besorgen. Dann könnten Sie eventuell in erhebliche Erklärungsnot kommen.«
    Sie überlegte angestrengt, bis eine Handbewegung signalisierte, dass der Groschen endlich gefallen war. »Und wenn das dann in der Zeitung steht, kannst du dich ja nur noch erschießen«, spann sie seinen Gedanken weiter.
    Michaelis sah Lotte jetzt wie ein strenger Vater an, der seinem Kind schon hundert Mal erklärt hat, dass man nicht Scheiße oder Mistkacke sagt. Trotzdem hing das Wort erschießen schwer in der Luft.
    »Oh, entschuldigen Sie«, bat Lotte, als sie die Hand wieder vom Mund nahm.
    »Das macht nichts. Außerdem haben Sie sozusagen den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte er schnell, um ihr so etwas wie eine Brücke zu bauen. »Das soll ja bei Kurt auch so gewesen sein. Alle Welt glaubt nämlich, dass er sich wegen der großen Scham getötet hat.«
    »Sie meinen … Ihr Freund wurde wegen solcher Sachen … das ist ja unglaublich.«
    »Das ist es wohl«, bestätigte Michaelis. »Aber ich glaube nicht an diese Geschichte. Kurt ist nicht der Mensch für Kinderpornographie und er hat auch seine Frau nicht erschossen. Warum hätte er das tun sollen? Sie war doch nicht angeklagt.«
    »Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, dass Ihr Freund so etwas getan hat. Ich meine dieses Kinderdingsda.«
    »Danke, Lotte. Das tröstet mich wenigstens ein bisschen.«
    »Nein«, sie hob die Hände. »Das sollte kein Trost sein. Ich glaube einfach nicht, dass Ihr Freund mit Kindern rumgemacht hat.«
    »Aha. Aber Sie kennen …«
    »Doch«, widersprach sie. »Anfangs wusste ich natürlich nicht, wer da angerufen hat. Aber als Sie mir erzählten, wer der Tote vom See war, und vor allen Dingen, als Sie von dessen Tochter berichteten, da konnte ich mir den Rest zusammenreimen.«
    »Sie kennen seine Tochter?«
    »Ja«, rief Lotte aus, als hätte sie das Ei des Kolumbus auf den Tisch

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