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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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kurzen blonden Pony, als ob sie wegen dieses Mangels etwas gut zu machen hätte.
    »Das ist wirklich nicht der Rede wert«, betonte Michaelis noch einmal und drehte zum bestimmt hundertsten Mal den Autoschlüssel zwischen den Fingern. »Außerdem hat er doch Recht. Ich hätte mich ja wehren können.«
    Nina sah Michaelis an und ließ zwei Grübchen hervortreten. »Zur Wehr setzen …«, sagte sie. »Gegen meinen Sohn? … Da wären Sie der Erste, der das schafft. Er ist nämlich der Teufel im Körper eines kleinen Jungen.«
    »Mama«, widersprach Tim lauthals – und genoss, dass sie ihn auf die Stirn küsste.
    Als sie sich wieder aufrichtete, wendete Tim den Rollstuhl und raste in den Laden. »Die Gurken liegen draußen. Alles andere bekommen Sie hier drinnen.«
    »Gut«, sagte er Michaelis und folgte seinem Verkaufsberater. »Ich komme.«
    Als Michaelis an Nina vorbeigehen wollte, hielt sie ihn am Ärmel fest. »Bitte sagen Sie ihm nichts. Er weiß es noch nicht.«
    Er sah ihr für einen kurzen Moment in die Augen, so wie auf der Terrasse der Blockhütte, und nickte. Dann löste sie ihren Griff.
    »Tim, du hilfst dem Herrn bitte, ich bin gleich wieder da.«
    »Okay, Mama«, kam es aus dem Laden, den Michaelis jetzt betrat und wo ihn die verschiedensten Kräuter sofort überforderten. Es roch gleichzeitig nach Dill und Majoran, nach Lauch und Essig, und er hätte wetten können, auch nach Studentenblumen, aber zu mehr waren seine Geruchsknospen nicht in der Lage.
    »Hier möchte man gar nicht mehr raus«, sagte er und nahm sich ein Bund Kräuter.
    »Das ist Salbei. Damit kocht Mama immer.«
    »Kann sie gut kochen, deine Mama?«, fragte Michaelis, denn das war für ihn wichtig. Wer keinen Genuss am Essen fand, der war in seinen Augen auch nicht in der Lage, andere Künste in sich aufzunehmen.
    »Mir schmeckt’s«, gestand Tim. »Es ist alles in diesem Regal.« Er zeigte es Michaelis. »Nur die Eier, die stehen auf dem Tresen.«
    »Danke.« Michaelis griff sich einen Korb. Dann landeten nacheinander all die Sachen darin, die Lotte aufgeschrieben hatte, bis er den Korb auf den Tresen hob.
    Als Nina zurückkehrte, hatte sie die Gummistiefel gegen ihre Camperschuhe getauscht und trug anstatt des grünen Arbeitsoveralls jetzt eine blaue Jeans und ein großkariertes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt waren.
    »Haben Sie alles gefunden?«, fragte sie und postierte sich hinter dem hüfthohen Tresen, auf dem neben Gläsern mit goldgelbem Honig auch eine Batterie kleiner Flaschen stand, deren Etiketten verrieten, dass es sich bei der Flüssigkeit um Schlehenlikör handelte.
    »Ja«, bestätigte er und stellte eins der Fläschchen zu seinen Einkäufen dazu. »Und Tim war mir eine große Hilfe. Ich kann nämlich rote Beete nicht von Sellerie unterscheiden«, log er.
    Tims Augen wurden riesig, dieser Satz hatte ihm offensichtlich sehr wohl getan. Als er auf Höhe des Tresens war, bremste er den Rollstuhl exakt neben Michaelis ab. »Na, dann bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen.« Er blinzelte wie ein alter Vertrauter mit dem rechten Auge und fuhr dann hinaus auf den Hof.
    Obwohl Tim längst nach links abgebogen war, sah ihm Michaelis noch immer nach. »Ein reizender Junge.«
    »Ja, das ist er. Und ich wünschte, ich könnte ihm die Nachricht vom Tod seiner Großeltern auf ewig ersparen.«
    Das war wohl der Wunsch einer jeden Mutter, die jegliches Unheil vom eigenen Kind abzuwenden suchte. Aber dieser Wunsch war genauso lebensfremd wie die Annahme, dass auf der Welt jemals Frieden herrschen würde.
    »Er wird irgendwann fragen, warum seine Großeltern nicht mehr auf den Hof kommen«, warnte er, ohne dabei den symbolischen Zeigefinger zu heben. »Spätestens dann müssen Sie Farbe bekennen, wenn Sie ihn nicht belügen wollen. Außerdem beginnt in gut einer Woche die Schule wieder. Da wird er es von den Kameraden sowieso erfahren.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Aber ich bin noch nicht genügend darauf vorbereitet.«
    Er spürte die Sorge, die in ihrer warmen Altstimme mitschwang. »Kann ich Ihnen dabei irgendwie helfen?«
    Nina überlegte kurz, während sie aus dem Fenster schaute. »Nein«, sagte sie dann. »Aber trotzdem danke für das Angebot. Ich musste mich bislang auch allein um Tim kümmern, wenn ich mal von meinen Eltern absehe.«
    Michaelis nickte. »Gibt es schon einen Termin für die Beerdigung?«, fragte er plötzlich, denn irgendwie wollte er sich von nun an lieber dem Thema Kurt Becher widmen,

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