Haveljagd (German Edition)
kleiner roter Traktor und daneben Gerätschaften, die die Bäuerin sicherlich an das Gefährt koppeln konnte, sowie noch weiter rechts ein etwa brusthoher Anhänger, dessen linker Vorderreifen den Atem ausgehaucht hatte.
Weiter sah Michaelis nichts, und er hörte auch nichts, nicht einmal ein entferntes Hämmern, wie er es vom Bauernhof seines Großvaters kannte, wo früher immer irgendein Nagel eingetrieben worden war, oder ein Pfahl für den Weidezaun. Aber das war eben früher.
Er blickte sich trotzdem weiter um und entschied dann, über die Betonfläche auf direktem Weg zum Hofladen zu gehen, dessen Tür sperrangelweit offen stand. Links und rechts der Tür boten Regale verschiedenes Gemüse an. Darunter waren eine Kiste mit roter Beete, daneben Gurken und Tomaten, sowie all das Obst, das die ernährungsbewusste Küche heutzutage benötigte.
Als er eine Sellerieknolle in die Hand nahm und daran roch, fiel ihm Lottes Einkaufszettel ein und er ging zurück Richtung Auto.
»Guten Morgen. Es ist schon offen.«
Michaelis drehte sich um und sah direkt in die Augen eines ungefähr zwölfjährigen Jungen, der sich mit seinem elektrischen Rollstuhl ohne jedes Geräusch genähert haben musste.
»So?«, fragte er.
»Ja. Es gibt die herrlichsten Sachen von unseren Feldern. Und alles gar nicht teuer. Kommen Sie nur.«
Er hob die rechte Hand bis in Augenhöhe und klapperte mit dem Autoschlüssel. »Na gut. Bei einer solchen Beratung kann ich wohl nicht nein sagen. Ich muss mir nur den Zettel aus dem Auto holen.« Er schloss die Beifahrertür auf und nahm das kleine Stück Papier vom Sitz. »Hier steht nämlich alles drauf, was ich mitbringen muss.«
»Zeigen Sie mal«, forderte der Junge ihn auf und bremste den Rollstuhl erst kurz vor Michaelis’ Schienbein. »Das haben wir alles«, sagte er, als er Lottes Wunschliste überflogen hatte. »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen, wo alles steht.« Dann bewegte er den schwarzen Joystick, worauf sich der Rollstuhl fast auf der Stelle drehte und fuhr über die helle Betonfläche in Richtung Hofladen.
Das also war der Enkel von Kurt und Eva. Ein Junge mit hellblonden Haaren und sonnigem Gemüt, ausgestattet mit pfiffigen blauen Augen und einer einnehmenden Offenheit.
Und er hatte wirklich Guten Morgen gesagt.
»Bin ich zu schnell?« Der Junge bremste sein Gefährt und stellte sich ein wenig quer, bis er ohne Anstrengung zu Michaelis zurückschauen konnte. »Entschuldigen Sie.«
»Nein. Ist schon in Ordnung«, beruhigte Michaelis ihn und schloss zu Kurts Enkel auf. »Das ist ja ein richtiger Rennwagen, in dem du da sitzt.«
»Finden Sie?«, fragte der Junge nicht ohne Stolz. »Macht Spitze sieben Kilometer in der Stunde. Wenn ich mich ganz klein mache, auch acht.«
Michaelis musste schmunzeln. Was für ein Kerlchen!
»Wie heißt du eigentlich, mein Junge?«
»Tim. Ich heiße Tim Becher. Und Sie?«
»Oh, Entschuldigung. Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Ich heiße Werner Michaelis.« Er reichte Tim die Hand und nahm dann dessen linke, die ihm der Junge hinhielt, während er mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne blinzelte. Die rechte lag unbenutzt und steif auf der Rollstuhllehne.
In diesem Moment trat Tims Mutter aus dem Laden. »Tim, ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du die Kunden nicht nötigen sollst. Das gehört sich nicht. Außerdem können sie ganz gut selbst entscheiden, ob sie etwas kaufen möchten …« Dann hob sie ihren Blick. »Guten Tag.«
Mit einer winzigen Verbeugung erwiderte er ihre Begrüßung und wiegelte dann ihren Vorwurf ab. »Das war doch keine Nötigung. Nennen wir es Kundenservice.« Mit dem rechten Auge zwinkerte er Tim zu und wurde durch ein leichtes Stechen im Herzen unvermittelt an die Nacht von Samstag auf Sonntag erinnert.
»Siehst du«, schimpfte Tim mit seiner Mutter und schüttelte mit Nachdruck den Kopf. »Wenn er nicht beraten werden will, dann kann er mir das schon sagen, oder?« Er legte seine linke Hand wieder über den Joystick und fuhr einen Kreis. Andere Kinder würden jetzt wohl mit dem Fuß aufstampfen. Dann suchten seine Augen die von Michaelis.
»Genau«, sagte der, als sich ihre Blicke trafen. »Außerdem ist ein bisschen Beratung immer gut. Wo gibt es das denn heute noch?«
»Trotzdem«, beharrte Nina Becher. »Das gehört sich nicht. Und Sie müssen bitte sein ungestümes Naturell entschuldigen. Ein bisschen fehlt wohl die strenge Hand eines Vaters.« Dabei strich sie Tim mit der Hand über den
Weitere Kostenlose Bücher