Haveljagd (German Edition)
wusste er nicht so genau, obwohl er es grundsätzlich für möglich hielt. »Inka, wer Schmetterlinge im Bauch haben will, der muss sich bekanntlich Raupen in den Hintern schieben. Erzähl mir lieber, was es nun mit der Liste auf sich hat?«
Sie wischte so unauffällig wie möglich eine Träne aus dem Augenwinkel, aber er sah es doch. »Ich habe sie mir angesehen und die Namen gegoogelt. Du glaubst gar nicht, wie ehrenwert diese Drecksäcke sind.« Die alte Wut wich bei ihr offenbar der neuen, und damit fing sie sich wieder. »Der Herr Landrat gibt dem Kurier kein Interview. Reichen Sie Ihre Fragen schriftlich ein, dann antwortet er vielleicht in ein paar Tagen … Was glauben die denn, wer sie sind?«
An dieser Stelle war er der Meinung, dass sie eine seiner Belehrungen nötig hatte. »Inka, der Kurier macht Boulevard. Vergiss das nie. Diese Art Voyeurismus lieben nur die Leser, nicht die Betroffenen.«
»Aber er kann doch wenigstens fragen, was ich von ihm will?«, protestierte sie, die Hände als Krallen vor der Brust haltend.
»Könnte er, ja. Muss er aber nicht. Aber wie ging es dann weiter?«
»Ich habe ihn vor dem Amt abgepasst und mit dem Vorwurf der Kinderpornographie konfrontiert.«
»Und? Wie hat er reagiert?«
»Gar nicht! Dieses Arschloch ist grinsend an mir vorbeigelatscht und verschwand dann in seiner fetten Karosse nach Hause.«
Michaelis hatte keine Lust, weiter darauf einzugehen. Er dachte an seinen alten Freund, wie der sich gefühlt haben musste, als ihm ein Polizist diesen ungeheuerlichen Vorwurf gemacht hatte. »Und Kurt? Wie hat der reagiert?«
»Den habe ich in seinem Blockhaus aufgesucht. Seine Frau war gerade nicht zu Hause, also passte es. Der war ganz anders, als dieser Landrat.«
»Und wie war er?«
»Er sank vor mir auf die Knie und flehte mich an, ich möge nicht darüber schreiben.« Sie blickte Michaelis jetzt direkt in die Augen. »Und warum?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, habe aber auch nicht danach gefragt. Ich bin einfach gegangen … Es erschien mir sinnlos, bei ihm weiterzubohren. Du wirst es nicht glauben, aber manchmal verlasse ich mich einfach auf mein Bauchgefühl. Ich glaube, er hat mir sogar leid getan.«
»Willst du mir jetzt erzählen, du hast aus lauter Mitleid für ihn die Story ad acta gelegt? Diesen Bären bindest du mir nicht auf!«
»Nein, ich warte nur noch auf eine Information.« Ihr Grinsen kam ihm diabolisch vor. »Und die ist dann todsicher.«
8
Der Selbstmord eines Berliner Ehepaares, das niemand auch nur drei Straßen weiter noch kannte, reichte nicht aus, um die Brandenburger Polizei wochenlang zu beschäftigen. Und da offensichtlich auch die Medien ihr Interesse verloren hatten, ein weiterer Artikel von Inka Schneider war ausgeblieben, waren alle längst wieder mit dem Alltagsgeschäft befasst.
So oder so ähnlich lautete jedenfalls das gemeinsame Statement von Oberstaatsanwalt Dr. von Woltersbrück und Polizeidirektor Claasen, wobei sie sich mit dem Medieninteresse nicht weiter aufgehalten hatten.
Das Ehepaar hatte sich behördlich attestiert also selbst in den Kopf geschossen und hatte wohl seine Gründe dafür, die man aber nicht ermitteln musste. Die Einwirkung dritter Personen schloss man kategorisch aus, und der Rest war die Angelegenheit der Angehörigen.
Michaelis wäre allerdings liebend gerne wie Rumpelstilzchen um ein Feuer gesprungen, denn er sah das Ganze nach wie vor völlig anders. Selbst wenn er weltweit der einzige Mensch sein sollte, der an eine Art Verschwörung glaubte, für ihn blieb der Fall nach wie vor ungeklärt, und nach jedem Gespräch, das er wo auch immer in Sachen seines alten Schulfreundes führte, wurde er sicherer in seiner Vermutung, dass Kurt und Eva sich nicht selbst getötet hatten. Und nicht zuletzt auch deshalb sandte sein Bauch so unangenehme Gefühle, die üblicherweise immer dann durch sein Gedärm grummelten, wenn er etwas, das eigentlich auf der Hand lag, noch nicht logisch erklären konnte.
Und momentan war das die Frage, warum Kurt einen Tag vor seinem Tod bei von Woltersbrück aufgetaucht war. Dass dies der Fall gewesen war, zog er nicht in Zweifel. Aber weswegen, blieb ihm ein Rätsel.
Michaelis versuchte wie ein kleines Kind zu denken. Immer alles schön nebeneinander legen und dann nacheinander betrachten. Da war also zuerst der Vorwurf der Kinderpornographie. Und dann der Besuch beim Freiherrn. Aber Stopp! Warum sollte jemand einen Staatsanwalt aufsuchen? Doch
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