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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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glotzten ihn nur stumm an.
    Dann schwang die Tür zur Küche wieder auf und das junge Mädchen trat hinter den Tresen, wo sie ein Bierglas bis zur Hälfte füllte und den Rest mit Limonade aufgoss. Sie stellte es vor ihn auf einen Deckel. »Die Wurst kommt gleich.«
    Während er auf sein Essen wartete, überlegte er, was sie von anderen jungen Mädchen unterschied. Die kleine Kellnerin hatte langsam, fast träge geredet. Die Art, wie sie die Wörter aussprach, hatte ihn irritiert. Sie redete nicht wie die Leute in der Stadt, aber das war es nicht, es war ihr Dialekt.
    Als sie mit den Bockwürsten kam, sprach er sie darauf an. »Sind Sie hier zu Besuch?«
    Sie lächelte. »Warum?«
    »Ihre Aussprache. Sie sind keine Brandenburgerin?«
    »Nein«, sagte sie und zog sich einen Stuhl heran. »Ich komme aus Kühlungsborn. Das ist an der Ostsee.«
    »Und jetzt machen Sie Ferien?«, fragte er interessiert nach. Er konnte sich nicht vorstellen, warum jemand, der aus Kühlungsborn kam, hier im Sommer Ferien machte.
    »Auch wieder nein. Ich bin mit meinem Vater vor fünf Jahren nach Klein Kreutz gekommen, weil …« Sie sah sich um, blickte auch zu den Glücksrittern und flüsterte dann: »Weil er unbedingt die Marianne heiraten musste.«
    Michaelis verstand.
    »Ich muss wieder.« Sie schob den Stuhl nach hinten. Nach ein paar schnellen Schritten stand sie am Tisch des schweigsamen Quartetts, das mit Kopfnicken und erhobenen Fingern die nächste Runde bestellte.
    Machte Feldarbeit wirklich so einsam, dass irgendwann der eigene Redefluss versiegte? Michaelis nickte freundlich zu den Herrschaften rüber, was dazu führte, dass die gemeinsam aus dem Fenster sahen.
    »Darf ich Sie noch etwas fragen?« Er stellte den Teller mit den Bockwürsten und sein Glas, das er vom Tisch mitgenommen hatte, auf den Tresen und sah in ihre graugrünen Augen.
    »Na klar.« Sie legte das Buch, in dem sie gerade zu lesen begonnen hatte, beiseite.
    »Saramago – Die Stadt der Blinden«, stellte er fest. »Ein brillanter Roman.«
    »Sie kennen das Buch?«
    »Natürlich. Ein großer Erzähler, der nicht zu Unrecht den Nobelpreis bekam. – Haben Sie denn hier überhaupt Zeit zum Lesen?«
    »Sie meinen wegen der Alten da? … Denen ist doch alles egal. Die wollen nur ihr Bier in sieben Minuten gezapft haben.« Sie schlug einen anderen, für ihre zierliche Figur viel zu tiefen Ton an und knallte die Hacken zusammen. »Ein ordentliches Bier wird in sieben Minuten gezapft. Ist das klar?«
    »Aha«, staunte Michaelis.
    »Und da warte ich eben genau sieben Minuten und kippe es dann in Null Komma nichts zusammen. Die gewonnene Zeit benutze ich zum Lesen.«
    Gekonnt vollführte sie vor seinen Augen, was sie unter sieben Minuten verstand. Wenn er richtig mitgezählt hatte, bekam dabei jedes Glas nur zehn Sekunden Zuwendung. Als sie mit dem leeren Tablett von den vier Herren zurückkam, sah er noch im Augenwinkel, wie einer von ihnen seine Taschenuhr zurück in die Weste steckte.
    »Und?«
    »Wenn Sie die sieben Minuten meinen, sie haben sich nicht beschwert.«
    Wie denn auch, ging es ihm durch den Kopf. Dazu hätten sie ja reden müssen. Dann biss er in die erste Wurst und konnte nicht vermeiden, dass ihm ein paar Fetttropfen auf das Hemd spritzten.
    »Sie sind aber auch nicht von hier, oder?«, fragte sie und musterte ihn vom Kopf bis zu seinem dicken Bauch.
    Um das Gespräch nicht abzubrechen, schluckte er ohne zu kauen. »Bis vor zehn Jahren habe ich in Berlin gelebt und nun wohne ich in Brandenburg.«
    »Wir jetzt auch«, lachte sie. »Neuerdings gehören wir nämlich auch zur Stadt.«
    »Das klingt nach einem Aber.«
    Sie sah ihn an und zeigte ihre strahlend weißen Zähne. »Aber die Stadt ist weit.«
    Ein kluges Mädchen, dachte er. Und deshalb wird ihr irgendwann die Flucht gelingen, wie so vielen anderen, was eigentlich schade, aber doch verständlich war. »Womit vertreibt sich ein so gebildetes Mädchen wie Sie die Zeit an einem Ort wie diesem, wenn es nicht kellnert oder liest?«
    Es interessierte ihn wirklich und deshalb beobachtete er sie sehr intensiv. Aber selbst bei oberflächlichem Hinsehen wäre ihm nicht entgangen, dass sich Traurigkeit in ihr Gesicht schlich und ihre schmalen Schultern nach oben zuckten.
    »Sie sind hier noch nicht angekommen, stimmt’s?«
    Sie sah auf die Wanduhr und zog dann eine Schublade auf. Daraus nahm sie ein Kartenspiel, einen Schreibblock sowie einen Bleistift, dessen Spitze sie mit dem Daumen prüfte, und ging

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