Haveljagd (German Edition)
wieder an den Tisch der anderen Gäste.
»Alles muss seine preußische Ordnung haben«, sagte Michaelis, als sie zum Tresen zurückkam. »Skat nicht vor eins, oder wie ist das jetzt zu verstehen?«
Sie kicherte wie ein kleines Mädchen durch die Nase und ging dann auf seine Frage ein. »Nein, wir sind noch nicht angekommen. Papa sagt, erst wenn man selbst und die Kinder unter der Erde sind, können die Enkel den Anspruch erheben dazuzugehören.«
Schrecklich, dachte Michaelis, aber Trost würde ihr in diesem Fall nicht helfen, nur Bildung, um abzuhauen, und da schien sie auf dem richtigen Weg.
»Und was machen Sie nun, wenn Sie nicht lesen?«
Sie lehnte sich rücklings gegen die Anrichte. »Ich möchte mal Informatik studieren. Ich kenn mich gut aus mit Computern. Und mit dem Internet. Das hält mich in Kontakt mit meinen alten Freunden aus Kühlungsborn. Wie das geht, bringe ich gerade dem kleinen Jungen bei, der auf dem Hof am Ende vom Dorf lebt. Der ist auch nicht so beweglich.«
Tim. Sollte er jetzt die Karten auf den Tisch legen und erzählen, dass er die Bäuerin und deren Sohn kannte? Wie sonst sollte er dem eigentlichen Zweck gerecht werden können, hier einzukehren, nämlich um aus des Volkes Munde etwas über die Bechers zu erfahren?
Mitten in seine Überlegungen hinein, beugte sie sich plötzlich nach vorn, bis ihr Mund fast sein Ohr berührte. »Das darf die Marianne nie erfahren.« Dann sah sie sich wieder verstohlen um und rutschte ein wenig von ihm weg. Nur ein wenig. »Papa arbeitet manchmal auf dem Hof von Frau Becher und hat mir den Job vermittelt. Ganz geheim. Aber irgendjemand von denen hier …«, ihr Blick fiel wieder auf die Skatrunde, »… hat mich bei Marianne verraten, was es jetzt schwieriger macht.«
»Und wie lösen Sie das?«
»Ich sage, dass ich baden gehe, und hoffe, dass sie mir glaubt.«
Er sah sie mitleidig an, aber er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. »Warum will denn Ihre Stiefmutter nicht, dass Sie zu den Bechers gehen?«, fragte er in der Hoffnung, sich langsam des Pudels Kern zu nähern.
Doch für eine Antwort war es zu spät. »Marianne«, flüsterte sie stattdessen mit rollenden Augen und stand plötzlich gerade wie ein Zinnsoldat.
Aus der Küche trat eine Frau in einem roten Polohemd mit dem Logo des Gasthofes. Das verlieh ihr und ihrer Wirtschaft ländliche Professionalität. Ansonsten fiel sie durch eine üppige Oberweite auf und durch ausgebeulte Hosenbeine, die aber hinter der Theke sowieso niemand sah.
»Hast du nichts zu tun?«, fragte sie ihre Stieftochter und wechselte dann den Blick zu Michaelis. »Und Sie? Können Sie sich nicht an einen Tisch setzen?«
So etwas hatte Michaelis noch nicht erlebt. Nicht einmal von der alten Frau Meier, weswegen ihm glatt die Spucke weg blieb. Und vor Schreck hatte er gar nicht bemerkt, dass sich die kleine Kellnerin hinter dem Rücken ihrer Stiefmutter aus dem Staub gemacht hatte, was der allerdings nicht entgangen war, denn Marianne stand mittlerweile wieder auf der Türschwelle und schrie in die Küche. »Ich habe nein gesagt, und damit basta!« Es war nicht nur laut, sondern markerschütternd.
Dann sah sie wieder zu Michaelis, der noch immer mit seinem Glas in der Hand am Tresen stand. »Wollen Sie noch was?«
»Nein, nein.« Schnell biss er in die zweite Bockwurst, die inzwischen kalt war.
»Kinder …«, sagte er dann mit vollem Mund.
Sie kam wieder zu ihm zurück. »Kommen Sie aus der Stadt?«
Michaelis nickte.
»Melanie ist die Tochter von meinem Alten. Ich habe ihr hundertmal gesagt, dass sie nichts mehr bei diesen Leuten zu suchen hat, aber sie will nicht auf mich hören.«
»Worum geht es denn, wenn ich fragen darf? Sie hat mir erzählt, dass sie baden gehen möchte.«
»Baden? Das ich nicht lache. Das As lügt doch! Ich habe sie erst letzte Woche erwischt, als sie angeblich auch baden war, sich aber mit dem Vater der Bäuerin getroffen hat.« Sie machte erneut einen großen Schritt bis auf die Schwelle, wo sie durch die Scheibe der Tür lugte.
»Und was ist daran so schlimm?«
»Mit dieser Pädophilenbande da draußen … damit wollen wir nichts zu tun haben.«
Michaelis hörte auf zu kauen. »Womit?«, fragte er überrascht.
»Die Bäuerin und ihre Sippe. Die sollen was mit Kinderpornos zu tun gehabt haben. Hat sich das in der Stadt noch nicht rumgesprochen?«
Michaelis schüttelte den Kopf. »Nein, hat es nicht. Stand das in der Zeitung?«
»Nee«, sagte sie, kam zu ihm zurück und
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