Haveljagd (German Edition)
Seite gewesen. Also fasste er die wesentlichen Neuigkeiten kurz zusammen.
»Da hast du ja in ein gehöriges Wespennest gestochen«, sagte sie, nachdem er fertig war.
»Das kannst du laut sagen.«
»Aber was hat das alles mit meinen Kollegen zu tun?«
Praktisch gar nichts, dachte er. Aber theoretisch war es doch möglich, dass die von Woltersbrücks ähnlich wie Bremer und dessen Frau auch Hilfe bei einem Psychotherapeuten gesucht hatten, bevor sie sich zu einer Leihmutter entschlossen.
»Weißt du, ob unser Adelspärchen bei einem deiner Kollegen war?«
Manzetti konnte förmlich spüren, wie Karin den Kopf schüttelte.
»Selbst wenn sie da waren – hast du schon mal etwas von ärztlicher Schweigepflicht gehört? Die gilt auch für uns.«
»Ich weiß«, räumte er ein. »Aber es kann doch …«
»Nein, Andrea, kann es nicht. Man unterhält sich auch unter Kollegen nicht über die Kundschaft. Das mag ja bei euch so sein, bei uns gibt es das nicht.«
Manzetti sah zur Spitze des Steintorturms und fühlte sich in etwa so, wie dessen Wahrzeichen, ein spilleriger Metalladler, der trotz ausgebreiteter Flügel nicht von der Stelle kam.
»Und wenn jemand in einer solchen Angelegenheit kommen würde? Was würdet ihr empfehlen?«
»Jetzt gehen aber gleich mehrere Herden mit dir durch, oder?«
Manzetti musste sie nicht sehen, um zu ahnen, dass ihr Hals gerade anschwoll, als wollte sie ihn platzen lassen.
»Das, was du da gerade denkst, ist strafbar und wenn das rauskommt, ist jeder Therapeut zeitlebens seine Zulassung los.«
Wie von einem Drehbuchautor in die Szene hineingeschrieben, pfiff es irgendwo bei Karin und damit durch den Hörer fürchterlich. Ein Ton gewordenes Ausrufezeichen.
»So war das doch gar nicht gemeint«, stammelte er und zwang sich dann, langsam bis zehn zu zählen.
»Gut, was willst du sonst noch wissen?«, fragte sie.
»Nichts. Und entschuldige noch mal, dass ich deinem Berufsstand so nahe getreten bin.«
»Schon gut«, sagte Karin. »Ich kann es ja verstehen. Werner ist schließlich dein Freund.«
Das war er. Und was war Werner für Karin? Die Frage verkniff er sich aber lieber, denn sie würde nichts weiter als ein Fußbad im nächsten Fettnapf bedeuten.
»Wo bist du eigentlich gerade und was war das für ein Pfeifen hinter dir?«
»In Potsdam. Ich bin in Potsdam am alten Lustgarten und will eine Fahrt mit der Weißen Flotte machen. Ich muss mal raus.«
»Dann viel Spaß«, wünschte er und hörte das nächste Geräusch, das noch viel lauter war, als die Schiffssirene zuvor.
»Und was ist das?«
»Waaaas …«
Erst als sich das Geräusch wieder von Karin zu entfernen schien, wiederholte er seine Frage. »Und was war das?«
»Ein Rettungshubschrauber.«
»Na, dann. Wir hören wieder voneinander.«
Er legte auf und dachte kurz nach. Hatte er noch Lust auf eine zweite Abfuhr? Eigentlich nicht und so beschloss er, den Termin bei Malte Richter platzen zu lassen, denn der würde ihm sicher auch nur ähnliche Verweise auf die Schweigepflicht geben.
Hinter dem Steintorturm bog er auf den Sandweg der St.-Annen-Promenade ab und setzte sich auf eine Bank. Sein Blick fiel auf die Wasseroberfläche, wo Enten und Blässhühner im Schatten schwammen. Nur unweit von hier, neben der anderen Brücke über den Stadtkanal, hatte er einmal gewohnt, und war hier mit seinen drei Frauen, der großen und den beiden kleinen, entlangspaziert. Als er an die drei denken musste, wünschte er sich, seine Entscheidung, Werner zu helfen, rückgängig machen zu können. Aber wie hatte schon sein Großvater gesagt: Mitgefangen, mitgehangen.
Dann kam ihm wieder Karin ins Gedächtnis und das soeben geführte Telefonat. Seltsam war das schon. Werner schwebte womöglich in Lebensgefahr und sie amüsierte sich auf einem Dampfer der Weißen Flotte. Und warum ausgerechnet in Potsdam und nicht in Brandenburg? Brandenburg hatte viel mehr Wasser zu bieten und man sparte sich eine Zug- oder Autofahrt. Aber das sollte sie selbst entscheiden, schließlich war sie Psychotherapeutin und wusste wahrscheinlich selbst am besten, wie sie mit ihrer Seele umzugehen hatte.
***
Als Sonja eine Viertelstunde später erschien, fuhr er mit ihr in die Wohnung von Inka Schneider. Sie teilten sich die Räume auf, Sonja links und er rechts vom Flur.
Er blickte sich um. Durch die großen Fenster im Wohnzimmer fielen die Strahlen der Abendsonne in den stickigen Raum, dessen Fenster seit dem Tod der Wohnungsinhaberin sicherlich nicht
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