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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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mehr geöffnet worden waren. Manzetti sah einen Schaukelstuhl, der in einer Nische stand, direkt neben der Stereoanlage. Das Kassettendeck, wie auch das CD-Fach waren herausgefahren. Also hatte da schon jemand nachgesehen. Weiter rechts stand ein Couchtisch und auf diesem ein Foto mit einer lachenden jungen Frau. Sie trug eine Brille und Zöpfe wie Pippi Langstrumpf. Bestimmt ihre Mutter, dachte Manzetti und nahm das Bild in die Hand.
    »Das ist ihre große Schwester«, erklärte Sonja, die plötzlich neben ihm stand. »Sie war viel älter, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Riesengebirge, zweihundert Meter in die Tiefe, keine Chance.«
    »Mein Gott, in der Haut der Eltern möchte ich nicht stecken. Beide Kinder tot.«
    »Die saßen mit in dem Auto«, erklärte Sonja und ließ Manzetti keine Zeit, das Gesagte zu verarbeiten. »Was suchen wir eigentlich?«
    Er wurde durch ihre Frage wirklich aus seinen Gedanken gerissen. »Wie bitte?«
    »Wonach wir suchen, habe ich dich gefragt.«
    »Aufzeichnungen, sie muss sich doch bei derartigen Recherchen Notizen gemacht haben.«
    »Danach haben wir schon alles durchforstet, Andrea. Wie du weißt, gibt es keinen Computer mehr und auch keine CDs oder USB-Sticks. Der Täter wird alles mitgenommen haben.«
    »Schon. Aber wenn du extrem wichtige Daten speicherst, dann machst du dir doch mehrere Sicherheitskopien und versteckst die, oder nicht?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe keine extrem wichtigen Daten.«
    »Stell dich doch nicht so an. Such einfach.« Er sah ihr nach und wusste sofort, dass sie mit wenig Lust ans Werk gehen würde. Dann betrat er das nächste Zimmer. Hier hatte man die tote Inka Schneider gefunden.
    Auf dem Nachtschrank standen weitere Fotos der Schwester, aber keine der Eltern. Warum nicht? Haben sie sich nicht verstanden oder hatte die Liebe zu ihrer Schwester alles überdeckt?
    Die meisten Bilder zeigten Inka Schneider gemeinsam mit ihrer Schwester und einige reichten bis in die Kindheit der toten Journalistin zurück. Auf einem schätzte er Inka etwa vier. Dann sah er sich die Schwester genauer an. Sie war auf demselben Foto gut zwanzig Jahre älter. Sie hätte auch …
    »Sonja!«
    »Was ist?«
    »Guck dir dieses Bild an.«
    Sonja hielt es vor sich. »Und? Was ist damit?«
    Manzetti ließ sie stehen und rannte ins Wohnzimmer. Nach wenigen Sekunden kam er zurück, ein weiteres Foto in der Hand. »Hier. Es gibt nur dieses eine von den Eltern. Was fällt dir auf?«
    Sonja sah auf das Bild. Es zeigte die Familie auf einer Studioaufnahme, alle im Sonntagsstaat und alle lächelnd. Inka mochte etwa sechs oder sieben gewesen sein, ihre Schwester Ende zwanzig, und Herr und Frau Schneider …
    »Inka Schneider hatte sehr alte Eltern«, sagte Sonja. »Sie sehen eher aus wie ihre Großeltern, aber das dürfte kein Wunder sein, wenn man berücksichtigt, wie viele Jahre älter ihre Schwester war.«
    »Und weiter?«
    Sonja sah zu Manzetti. »Was, und weiter?«
    »Na, und weiter? Was siehst du noch?«
    Sie nahm sich wieder das Foto und versuchte, etwas zu erkennen. »Ich sehe nichts weiter.«
    »Dann sieh genau hin«, forderte er sie auf. »Sieh in ihre Gesichter.«
    Sonja tastete das Foto mit den Augen ab. »Sie lächeln alle, aber das tut man immer auf solchen Studiofotos. Sie sehen glücklich aus. Meinst du das?«
    Er schüttelte heftig den Kopf. »Ja, von mir aus sehen sie glücklich aus, aber sie tun eins nicht. Sie sehen sich nicht ähnlich.«
    Das war es, was ihm schon bei der ersten Betrachtung dieser kleinen Familie aufgefallen war. Es war nicht der Umstand, dass in der gesamten Wohnung nur ein Foto der Eltern stand, es war die Tatsache, dass sich die Mädchen sehr ähnlich sahen, aber keine von beiden irgendetwas von den Eltern zu haben schien, allenfalls Inka von dem Vater.
    »Jetzt, wo du es sagst.« Sonja drehte das Familienfoto hin und her. »Es sieht aus, als wären sie alle zufällig auf dem Bild.«
    »Zufällig nun vielleicht nicht, aber könnte es nicht sein, dass auch Inka Schneider das Produkt einer Leihmutterschaft ist, und ihre Schwester gar nicht die Schwester, sondern die Mutter ist?«
    »Du meinst …« Sonjas Mund blieb sperrangelweit offen.
    »Wann war der Autounfall?«
    Sonja ließ den Mund zwar offen, nickte aber.
    »Im letzten Jahr?«, fragte er.
    Sie nickte noch etwas heftiger und schloss dann den Mund und die Augen.

23
    Manzetti hatte Claasen sein Kommen angekündigt und im Stenostil geschildert, was sie bislang herausgefunden

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