Havelsymphonie (German Edition)
fünfunddreißig Jahre zurück. Deshalb bin ich wohl eher Deutscher als Italiener.“
„Interessante Biografie“, kam es sofort vom Intendanten, der inzwischen seine Fassung gänzlich wieder gefunden hatte. „Daraus ließe sich bestimmt etwas machen, künstlerisch meine ich.“
„Sebastian! Krieg dich bitte wieder ein“, ermahnte Frau Hofmann und wandte dann wieder ihren Blick zu Manzetti. „Sie müssen ihn entschuldigen. Sebastian ist mit jeder Körperfaser künstlerischer Leiter dieses Hauses. Da geht zuweilen die Fantasie mit ihm durch.“
„Und Sie passen quasi auf ihn auf“, bemerkte Manzetti.
„So ungefähr. Ich bin gewissermaßen seine rechte Hand, war aber früher hier Choreographin.“
Damit erklärte sich ihre Grazie, dachte Manzetti. Selbst die Bewegungen ihrer Finger schienen einer Komposition zu folgen.
4
Es war bereits früher Nachmittag, als Manzetti sichtlich ermüdet und vielleicht deshalb mit nicht ganz so guter Laune das Vorzimmer von Direktor Claasen betrat. Er wurde schon erwartet, nicht nur von seinem Chef, sondern auch von sanften Augen und einem Lächeln, das seiner Meinung nach dem von Delfinen glich.
„Er wartet sehnsüchtig, Herr Manzetti“, begrüßte ihn Frau Freitag, die Sekretärin des Direktors. Sie sah wieder hinreißend aus, dachte Manzetti. Welche Mühe musste es machen, mit über fünfzig auszusehen, als stünde der vierzigste Geburtstag noch bevor?
„Wartet er nicht immer sehnsüchtig, Frau Freitag?“, säuselte Manzetti und sog das Lächeln der Sekretärin auf, wie trockenes Weißbrot es mit aromatischem Olivenöl machte.
„Das tut er wohl. Aber heute ist es dringender. Er hat bereits sieben Mal nach Ihnen gefragt.“
„Sieben Mal?“, fragte Manzetti ungläubig nach und zählte jedes Mal an einem Finger ab.
„Ja. Sieben Mal. Aber er war immer zufrieden, wenn ich ihm erklärt habe, womit Sie gerade beschäftigt sind.“ Bei diesen Worten benutzte Frau Freitag den Augenaufschlag einer Mutter, die ihrem Sprössling zu verstehen gab, dass die Aussprache beim strengen Vater schon nicht so schlimm ausfallen werde.
„Er ist zu gütig, unser Direktor“, spöttelte er und deutete mit dem Kopf zur gepolsterten Tür.
„Sie sollten langsam hineingehen, Herr Manzetti.“
„Ja. Das werde ich wohl müssen.“ Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Sekretärin ihm noch immer zulächelte, als sie ihren Stuhl anschob und die Bewegung erst vor dem Flachbildschirm elegant wieder einfing.
Nach dem donnernden „Herein“, das wie immer mit einem außergewöhnlichen Bass durch die Türfüllung gedrungen war, drückte Manzetti die Messingklinke hinunter und stand dann in dem hellen Büro des Direktors.
„Ah, Manzetti. Spät kommt Ihr, doch nun seid Ihr endlich da.“ Ole Claasen strahlte über beide Ohren wegen des beim Rotarierfrühstück aufgeschnappten Zitats.
Manzetti fand allerdings, dass dem einiges zu entgegnen war. „Spät kommt Ihr – doch Ihr kommt. Friedrich Schiller, Wallenstein“, korrigierte er seinen Vorgesetzten.
„Schiller? Sind Sie ganz sicher?“, wunderte sich Claasen.
Manzetti nickte mit geschlossenen Augen.
„Schiller …“, wiederholte Claasen und stützte sein Kinn in die rechte Hand. „Ich dachte der Spruch ist vom Generalstaatsanwalt … Ist er nicht?“, fragte er mit enttäuschter Miene, nicht aber ohne die Hoffnung, Manzetti habe sich doch geirrt.
„Ist er nicht!“ Manzetti blieb hart.
„Na egal. Nehmen Sie Platz, mein Lieber“, forderte Claasen ihn auf und deutete auf einen der schweren Ledersessel. „Was haben Sie denn zu berichten?“ Der Direktor war salopp über das kleine Bildungsmanko hinweggehuscht und gab sich wieder ganz seiner Fröhlichkeit hin, die wahrscheinlich nicht allein auf Frau Freitags Delphinlächeln zurückzuführen war. Gewöhnlich hatte das zu bedeuten, dass er voller Selbstsicherheit steckte, seiner Fantasie auch in Polizeidingen freien Lauf ließ und kaum Beratung, schon gar nicht Widerspruch hinnahm. Deshalb setzte sich Manzetti sehr aufrecht hin, sodass sein breiter Rücken nicht im Entferntesten eine Beziehung mit der Lehne des Sessels einging und atmete tief durch.
„Also, Herr Direktor“, begann er seinen Vortrag, ohne Claasen dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. „Heute Morgen, es war, glaube ich, gegen vier Uhr dreißig, wurde ich telefonisch über den Fund einer weiblichen Leiche informiert und begab mich …“
„Das weiß ich doch schon alles“, unterbrach
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