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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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wieder zu seinem Schreibtisch zurück, hinter dem er dann stehen blieb.
    „Er redet also nicht, sagen Sie?“
    „Genau“, bestätigte Manzetti.
    „Auch nicht zu seinem Betreuer? Er muss doch so etwas wie einen Betreuer haben. Mit dem redet er auch nicht?“
    „Nein.“
    „Und was machen wir jetzt?“
    Manzetti schwieg. Er zuckte nur mit den Schultern.
    „Haben wir keine Experten für solche …“
    „Autisten“, half Manzetti nach.
    „… für solche Autisten?“
    „In den Reihen der Polizei, meinen Sie?“
    „Ja.“
    „Haben wir nicht. Alles, was ich bislang über Autismus weiß, ist nicht sehr umfangreich. Es gibt auch verschiedene Formen oder Ausprägungen. Allen ist aber gemein, dass sich die Betroffenen in irgendeiner Weise der Außenwelt sperren.“
    „Und wie sieht das bei unserem … Autisten aus?“
    „Seit er in die Einrichtung zurückgekehrt ist, versperrt er sich jeglichem Kontakt. Kein Wort, keine Berührungen, überhaupt kein Kontakt zu anderen Menschen.“
    „Und wie kann so einer Zeitungen austragen?“
    „Das haben wir noch nicht geklärt. Aber es muss ja funktioniert haben“, behauptete Manzetti. „Und heute Morgen hat er wahrscheinlich auf seiner Tour unsere Leiche aus nächster Nähe gesehen, was ihn offensichtlich zutiefst erschreckt hat, sodass er wie von der Tarantel gestochen weggelaufen ist.“ Manzetti kramte in seiner Sakkotasche und förderte schon mal den kleinen Notizblock hervor. „Und nur das hat ein Zeuge gesehen, der gerade in unmittelbarer Nähe seine Zeitung aus dem Briefkasten nahm.“
    „Aha. Und was waren das für Schlüssel?“
    „Haustürschlüssel“, antwortete Manzetti, „um in Häuser zu gelangen, die ihre Briefkästen noch drinnen im Hausflur haben.“
    „Sie wollen mir doch nicht erklären, dass man so einem …“, Claasen rang mit großer Mühe nach dem richtigen Wort. „… so einem … Menschen … fremde Haustürschlüssel in die Hand gedrückt hat?“
    „Warum denn nicht?“
    „Na ja. Ich meine … Aber egal. Wann können wir denn nun mit ihm reden?“
    „Das weiß kein Mensch. Wahrscheinlich erst, wenn er sich von selbst wieder öffnet.“
    „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, Manzetti? Das ist doch bloß irgend so ein medizinisches Geschwätz.“ Claasen zog die buschigen Augenbrauen zusammen.
    „Das glaube ich nicht“, warf Manzetti ein. „Autist ist nicht gleich Autist. Ich habe mich ein wenig von unserem Polizeipsychologen aufklären lassen.“ Er klappte seinen Notizblock auf. „Manche sprechen, manche nicht. Manche sind apathisch, manche übernervös. Manche sind zu fast gar nichts fähig und manche leisten Außergewöhnliches. Es gibt nicht den Autismus, und wie genau es bei Mario Schmidt abläuft, kann im Moment niemand sagen.“
    „Was heißt Außergewöhnliches?“, fragte Claasen nach. „Sie bringen andere Menschen um, oder was?“
    „Nein. Sie spielen sämtliche Klavierkonzerte von Mozart aus dem Gedächtnis.“
    „Manzetti, hören Sie doch auf. Meine Enkelin spielt auch ohne Noten“, behauptete Claasen.
    Manzetti konnte sich an den Auftritt der kleinen Enkelin erinnern. Sie spielte anlässlich des fünfundfünfzigsten Geburtstages ihres Großvaters den Flohwalzer auf einem verstimmten Klavier im Speisesaal der Direktion und bekam braven Applaus, obwohl der Vortrag doch irgendwie holprig war.
    „Hier ist es aber etwas anderes, Herr Direktor. Diese Menschen sind zu genialen Gehirnleistungen fähig, und genau das scheint ihr Problem zu sein. Weil Autisten die Vielzahl ihrer Sinneseindrücke nicht richtig zusammenfügen können, sind sie nämlich sehr unsicher, ja sie haben sogar Angst vor anderen Menschen, also vor ihrer Umwelt.“ Manzetti zitierte den Polizeipsychologen fast wörtlich, der ihm während seines kurzen Vortrages wenig Hoffnung gemacht hatte, dass Schmidt sich in der nächsten Zeit öffnen würde. Es könne sogar Jahre dauern, hatte der Psychologe gesagt.
    „Versuchen Sie trotzdem mit dieser Person zu reden“, forderte Claasen nun.
    Manzetti antwortete nicht.
    „Sagen Sie ihm, dass wir ihn sonst in Beugehaft nehmen.“
    „Ja“, sagte Manzetti, aber nur, um noch mehr Unheil abzuwenden. Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass Claasen in der Lage war, jemand anderen mit diesem Auftrag zu betrauen, und dass dieser jemand in vorauseilendem Gehorsam Mario Schmidt hier anschleppen würde. Das wollte er Mario Schmidt nicht antun. Und vor der Blamage wollte er sich und die Direktion bewahren.

    *

    Einige

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