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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Wind, der am frühen Morgen etwas nachgelassen hatte, kaum Angriffsfläche.
    Der Täter hatte die Frau nicht einfach auf den Boden gelegt, sondern auf einen der Kneipentische, die vor der Klause standen. Dort ruhte sie wie in ihrem Bett. Nur war sie angekleidet, allerdings trug sie ein Kleid, das irgendwie nicht in die heutige Zeit passte. Vielleicht kam es fünfzig Jahre zu spät. Es war etwa wadenlang, grau und bis oben zugeknöpft. Und es hatte sogar angesetzte Puffärmel, die jede Trägerin artig aussehen ließen. Über dem Kleid trug die Tote eine schlichte Schürze, ebenfalls grau, wenn auch eine Nuance heller, die, jedenfalls soviel Manzetti momentan erkennen konnte, so eng geschnürt war, dass die Brüste der Frau regelrecht platt gedrückt wurden.
    Im Übrigen konnte der Eindruck entstehen, als schliefe sie seelenruhig und ließe sich dabei von niemandem stören. Ihr Kopf mit dem ebenmäßigen Gesicht war auf ein großes Kissen gebettet. Ihre Hände steckten in einer länglichen Hülle aus flaumigem Fell.
    „Woran ist sie gestorben?“, fragte Manzetti.
    „Zuviel Post“, antwortete Bremer ohne lange zu überlegen.
    „Zuviel Post?“
    „Ich habe sie zwar noch nicht umgedreht, aber hier vorne steckt ein Brieföffner in ihrem Herzen.“
    Nun stand Manzetti doch auf und konnte gerade noch sehen, wie Bremer den Brieföffner langsam aus der jungen Frau zog und ihn in die Luft hielt: „Ein schönes Stück.“
    „Was ist daran schön?“, wollte Manzetti wissen.
    „Sieht aus wie Jade.“
    „Nie und nimmer“, meinte Manzetti, als er ganz dicht neben Bremer getreten war. „Das sieht eher aus wie Massenware.“
    „Massenware?“, empörte sich Bremer spielerisch. „Brieföffner sind doch keine Massenware. Manzetti, ich bitte Sie, wer schreibt denn heute noch Briefe. Heute verschickt man E-Mails oder SMS, aber doch keine Briefe mehr. Und wenn doch noch jemand einen Brieföffner besitzt, dann stammt der aus dem Nachlass der Großtante …Trotzdem, Sie könnten Recht haben“, sagte Bremer nach kurzem Zögern und hielt den grünen Griff des Brieföffners noch dichter gegen den grellen Schein des Scheinwerfers, den die Kriminaltechniker für ihn aufgebaut hatten. „Und Sie haben Recht, was ich ungern zugebe“, stellte er plötzlich fest. „Sah aber auf den ersten Blick wirklich aus wie Jade.“ Seine Enttäuschung war nicht zu überhören.
    „Ja, sicher doch.“ Manzetti unterdrückte den Wunsch, die Augen zu verdrehen. „Ist sie nur daran gestorben? Ich meine, wurde sie erstochen?“
    „Sieht so aus. Sie hat keine weiteren Verletzungen an der Vorderseite, keine Würgemale am Hals und keine Anomalien in den Augen. Aber genau kann ich es erst sagen, wenn sie bei mir im Institut ist.“
    „Was sind das da für Schlüssel?“, fragte Manzetti.
    „Welche Schlüssel?“ Bremer schaute sich suchend um.
    „Unter dem Tisch. Da liegen doch zwei Schlüssel.“
    Bremer trat einen Schritt zurück und bückte sich.
    „Liegen lassen!“, befahl Manzetti.
    Sofort zuckte Bremer zurück, wobei er sich den Kopf geräuschvoll an der Tischkante stieß. „Idiot“, stöhnte er, rieb sich die Schädelplatte und fragte dann, als wäre nichts gewesen: „Meinen Sie, die stammen von der Toten? Sehen aus wie Haustürschlüssel.“
    „Sie können auch vom Täter sein. Das werden wir klären müssen.“ Manzetti angelte mit seinem Kugelschreiber nach dem Schlüsselring und sah sich die Fundstücke etwas genauer an. Ein Schlüssel war oben rund und der andere viereckig. Er drehte sie weiter hin und her. Auf dem runden stand IKON und auf dem eckigen BAB. Mit der linken Hand kramte Manzetti in der Manteltasche und förderte zum Vergleich sein eigenes Schlüsselbund zu Tage.
    „Der hier“, er hielt den Kugelschreiber mit den Schlüsseln in Bremers Richtung, „ist von BAB und meiner auch. Das heißt zwar noch nichts, aber es könnte immerhin sein, dass es wirklich Haustürschlüssel sind.“ Manzetti übergab sie einem Kollegen, der sie in eine durchsichtige Plastiktüte steckte.
    „Was ist das für ein Fell?“, fragte Manzetti nach einer kurzen Pause und deutete mit dem rechten Zeigefinger an Bremer vorbei auf die pelzige Hülle, in dem noch immer die Hände der Toten steckten.
    „Sieht aus wie ein Muff“, erklärte Sonja, die plötzlich zwischen den beiden Männern stand. „Schön warm, aber schon ziemlich aus der Mode gekommen.“
    Bremer zog unterdessen eine Hand der Leiche aus dem Muff und blickte anschließend mit

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