Havelsymphonie (German Edition)
zur Überraschung ihres Vaters. „Dann schlafe ich bei Mama, basta.“ Ohne weitere Worte und mit wippenden braunen Locken verschwand die jüngste Manzettitochter in ihrem Kinderzimmer, wo Alexa in hohem Bogen in die Spielzeugkiste flog.
Als seine drei Frauen eine halbe Stunde später durch den großen Torbogen gefahren waren, hatte er mit einer gewissen Verlegenheit hinter ihnen hergewunken. Sekunden später holte ihn dann schon die Gewissheit ein, dass er mindestens drei Tage einsam sein würde. Wie hielten es liebende Menschen aus, die sich nur am Wochenende oder noch seltener sehen konnten?
Einige Zeit verbrachte er mit Nichtstun, tigerte durch die ganze Wohnung und saß schließlich mit einem Blatt Papier, einem Bleistift und einem Glas Barolo bewaffnet am Schreibtisch, um in aller Ruhe über den Mord an der jungen Trompeterin nachzudenken. Aber das klappte irgendwie nicht, denn eine Stunde später saß er noch immer im Arbeitszimmer und starrte Löcher in die Luft. Das Blatt vor ihm zierten wilde Kreise und mehrere Reihen archaisch anmutender Strichmännchen.
Wenig später saß er in der Theaterklause vor einem weiteren Glas Rotwein.
„Guten Abend, Herr Manzetti“, begrüßte ihn der Intendant des Brandenburger Theaters und reichte Manzetti seine warme Hand. Sebastian Hendel sah aus, wie ein Intendant auszusehen hat. Jeans, Poloshirt und ein braunes Kordsakko, aber er war eben auch der Intendant und kein Halbitaliener, der nie ohne Anzug aus dem Haus gehen würde. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, bat er und zog schon einen Stuhl zurecht.
„Ja, gerne.“ Manzetti sah zu, wie Hendel sich niederließ.
„Was macht Ihr Mörder?“, fragte Hendel interessiert, nachdem er aus seinem Glas getrunken und sich über die feuchten Lippen geleckt hatte.
„Nichts.“
„Nicht genügend Beweise?“
„Beweise? Wir wissen noch nicht mal, wer es war. Wem sollen wir da etwas beweisen?“
„Ich dachte, es sei der Zeitungsbote. Der Mario.“
„Kennen Sie diesen Mario Schmidt?“
„Flüchtig“, gab Hendel zu. „Nur eben so, wie man einen Zeitungsboten kennt.“
Manzetti überlegte kurz. Er wusste nicht einmal, ob ihm eine Frau oder ein Mann die Zeitung brachte. Wie man eben den Zeitungsboten so kennt. „Er war es nicht.“
Hendel nahm überrascht sein Glas vom Mund. „Das ist ja was ganz Neues. Und was machen Sie nun?“
„Ich weiß es noch nicht. Es sieht alles nach einer Aufführung aus, nach einer Inszenierung“, verriet Manzetti und nahm Hendel scharf ins Visier. „Damit kann ich im Moment noch nicht soviel anfangen.“
Der Intendant lachte kurz, aber heftig auf und machte damit alles andere als einen eingeschüchterten Eindruck. „Verdächtigen Sie deshalb etwa jemanden vom Theater?“
„Nein. Wie kommen Sie denn darauf?“
„Ihre Augen. Sie suchen etwas, und außerdem habe ich Sie hier in der Klause noch nie zuvor gesehen. Das kann doch kein Zufall sein.“
„Ich sage es noch mal“, betonte Manzetti. „Wir haben niemanden, auf den wir uns konzentrieren. Es ist alles noch viel zu verworren, und niemand von uns weiß, wo wir ansetzen können.“
„Und ihr lustiger Mediziner, dieser Bremer?“
„Der ist kein Kriminalist. Er ist Gerichtsmediziner und erzählt mir lediglich, wann die Dame woran gestorben ist.“
„Aber im Fernsehen sind doch Gerichtsmediziner so etwas wie der wichtigste Partner des Kommissars“, glaubte Hendel zu wissen.
Oh Gott, dachte Manzetti, denn er hatte Schwierigkeiten, einen Intendanten in die geistige Nähe von Menschen zu bringen, die sogenannten Fernsehwahrheiten Glauben schenkten.
Während der kleinen Pause änderte sich plötzlich Hendels Stimmung. Er wurde mit einem Mal sehr ernst. „Sie war großartig und der ganze Stolz ihrer Eltern.“ Er setzte sich sehr aufrecht hin.
Manzetti hörte nur zu. Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen war ihm klar geworden, dass Hendel der Toten sehr nahe gestanden haben musste. Er beobachtete ihn sehr genau, er wollte sich nicht täuschen lassen, denn der Intendant schien über eine Eigenschaft zu verfügen, die man wohl als Gefühlswelt à la Chamäleon bezeichnen konnte.
„Sie war einfach nur Klasse. Sie war nicht nur sehr hübsch und sehr gebildet, sie war auch eine große Trompeterin.“
„Könnte es vielleicht gerade damit zusammenhängen?“
„Womit?“
„Neid. Vielleicht war jemand neidisch auf ihr Können und hat sie deshalb aus dem Weg geräumt?“
„Sie meinen, um die Stelle als
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