Havelsymphonie (German Edition)
mechanisch das, was er an jedem anderen Feierabend auch erledigte: Mantel aufhängen und Schuhe ausziehen. Er nahm seine Familie erst bewusst wahr, als er die Routine beendete und Kerstin den Strauß roter Rosen hinhielt, den er seit dem frühen Morgen mit sich herumgeschleppt hatte, was man den Blumen auch schon ansah. Doch Kerstin reagierte anders, als er es sich vorgestellt hatte. Irgendwie kam bei ihr nicht die gewohnte Freude auf.
Schließlich war es Lara, die all ihre Lebenserfahrungen ins Rennen warf. „Was sollen denn die Blumen, Papa?“, fragte sie provokant. „Die sind doch verwelkt, bis wir wieder da sind.“
Manzetti war eher ratlos, als vor den Kopf gestoßen. Er bückte sich und hob vom Fußboden eine bunte Strickjacke auf, die nur der kleinen Paola passen konnte. Er hielt sie wie ein Schild vor sich. „Ich gehe nur schnell duschen und dann …“
„Schatz“, sagte Kerstin. „Soll ich dir einen Kaffee machen?“
Manzetti antworte nicht und schenkte ihr einen Blick, dessen Sprache nur seine Frau verstand.
„Ich hole dir besser einen Grappa.“ Kerstin verschwand kurz im Wohnzimmer und kam wenige Augenblicke später mit einem Glas gelben Ronergrappa wieder. „Quäl dich doch nicht“, sagte sie und hielt ihm den duftenden Schnaps hin.
„Es tut mir so leid. Ich könnte auch versuchen, ich meine … der Urlaubstag morgen ist ja schon genehmigt“, stammelte er, wobei er mittlerweile die Hände auf einer Stuhllehne abstützte.
Sie wollten nach Buckow in die Märkische Schweiz. Er selbst hatte es vorgeschlagen, dieses tolle Familienwochenende, das durch einen unterrichtsfreien Tag sowohl an Paolas Schule als auch an der von Lara überhaupt erst möglich wurde.
„Und du meinst, dass ich dich einfach so mitfahren lasse?“ Kerstin legte die Arme um seine Hüfte. „Wer soll denn dann den Mord aufklären?“
„Du weißt schon davon?“, stellte er seine Frage, die überflüssiger nicht sein konnte.
„Andrea, Brandenburg ist ein Dorf, und eine Leiche direkt vor dem Theater spricht sich hier schneller rum als ein Börsencrash.“
„Trotzdem könnte ich Urlaub machen. Wenigstens den einen Tag. Es gibt doch noch andere Polizisten in dieser Stadt.“
„Sicher gibt es die“, bestätigte Kerstin. „Aber denk doch mal nach. Wärst du wirklich ganz bei uns, wenn Sonja oder gar Claasen die Ermittlungen übernehmen würden?“
„Ich muss es ja nicht erfahren“ erwiderte er, garnierte seine Bemerkung aber mit einem Lächeln, denn er wusste, dass sie Recht hatte. Schließlich waren sie zwanzig Jahre verheiratet, und niemand kannte ihn besser als Kerstin.
„So siehst du aus, du italienischer Macho. Du würdest nie eine Frau die Ermittlungen führen lassen“, sagte Kerstin mit gespielt vorwurfsvoller Miene und schlang ihre Arme noch fester um seine Hüften.
„Ach was“, wehrte er ab. „Ich komme mit und basta.“
„Das ist Mamas Wort“, protestierte Paola, die neben ihren Eltern aufgetaucht war.
„Was ist Mamas Wort?“
„Basta. Das sagen nur Frauen, Papa.“
Er nahm Paola auf den Arm. „Und welche?“
„Na, Mama und Oma Angela.“
„Richtig, mein Engel“, bestätigte Manzetti. „Nur wenn man weiblich ist und Manzetti heißt, sagt man basta. Wir beide tun so etwas nicht.“
Paolas brauner Wuschelkopf fuhr herum und die hellwachen Augen suchten ihre Mutter.
„Lass ihn reden, Paola. Auch du bist weiblich und heißt Manzetti.“
„Basta, Papa“, beendete sie die Diskussion mit ihrem Vater. „Chiara oder Alexa?“ Paolas braune Mandelaugen funkelten ihren Vater an, als sie sich weit nach hinten bog, um ihre beiden Puppen vor sich halten zu können.
Manzetti sah abwechselnd zu der einen, dann zu der anderen und verkrampfte zusehends, denn weder kannte er ihre Namen, noch verstand er die Frage seiner Tochter und war froh über die Hilfe seiner Frau.
„Chiara“, empfahl sie und nahm Paola die schwarzhaarige Puppe aus der Hand. „Nimm Chiara mit, mein Liebling. Die war noch nicht in Buckow, und außerdem hat Papa sie dir geschenkt. So kannst du mit Chiara kuscheln und an ihn denken, denn er kann leider nicht mitkommen.“
Paola, die bereits wieder auf ihren Füßen stand, schaute ihren Vater mit großen Augen an. „Du kommst nicht mit?“, fragte sie mit einem Gesichtsausdruck, in dem erstaunlicherweise keine Trauer lag.
„Nein, leider nicht. Ich muss arbeiten.“ Er bemühte sich, seine Stimme so traurig wie möglich klingen zu lassen.
„Prima“, tönte Paola
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