Havelsymphonie (German Edition)
sein. Aber welchen Sinn könnte das haben?“ Manzetti war in seinen Gedanken versunken, als der Kaffeeautomat einen neuen Espresso ausspuckte. „Im Grunde genommen bedeutet das allerdings auch“, sagte er schließlich, „… dass der Zeitungsbote wirklich als Täter nicht in Frage kommt. Er hätte wohl kaum die Gelegenheit gehabt, einen solchen Abdruck zu nehmen.“ Diese Schlussfolgerung ging ihm sehr leicht und nicht gänzlich ohne Vergnügen über die Lippen.
„Welcher Zeitungsbote?“, fragte Bremer neugierig.
„Ein Zeuge hat einen Zeitungsboten weglaufen sehen, und Claasen will unbedingt, dass der unser Täter ist.“
„Glaubt Claasen noch an den Weihnachtsmann oder steht er unter Zeitdruck?“, fragte Bremer mehr rhetorisch, aber der Jahreszeit nicht unangepasst.
„Vielleicht beides, denn in einem Mordfall steht man immer unter Zeitdruck.“
„Hm“, machte Bremer und sah Manzetti weiter fragend an.
„Der Zeitungsbote, er ist von der Leiche weggerannt, und das hat jemand gesehen, der gerade sein Exemplar der Märkischen Allgemeinen aus dem Briefkasten genommen hat.“
„Und?“
„Und was?“
„Und was hat das zu bedeuten?“ Bremer leckte sich geräuschvoll den Finger ab, mit dem er den Ketchup von seinem Teller gewischt hatte.
„Das hat meiner Meinung nach gar nichts zu bedeuten“, stellte Manzetti fest, wobei er trotz des Ekels die Augen nicht von Bremers Teller nehmen konnte. „Der Zeitungsbote, ein gewisser Mario Schmidt, ist geistig behindert und wahrscheinlich vor Schreck weggelaufen. Aber als Täter kommt er sicher nicht in Frage.“
„Und warum nicht?“
„Eben wegen dieser Behinderung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand mit solch einem Makel …“
„Ist eine Behinderung ein Makel?“ Bremers Frage kam plötzlich, passte aber zu ihm und war deshalb nicht ganz unerwartet.
„Nein“, musste Manzetti zugeben. „Trotzdem glaube ich nicht, dass dieser Mario Schmidt imstande wäre, Hände derart abzukühlen.“
„Dazu bräuchte er Kenntnisse, die über das normale Maß hinausgehen.“
„Und technisches Gerät, das nicht in jedem Haushalt vorrätig ist“, ergänzte Bremer.
„Welches zum Beispiel?“
„Wenn man nur die Hände herunterkühlen will, dann müssen die vom übrigen Blutkreislauf getrennt werden, weil sonst das kalte Blut zirkuliert.“
„Dann hätten wir aber Spuren finden müssen, die auf ein Abbinden am Handgelenk oder ähnliches hindeuten.“ Manzetti streckte seine linke Hand zu Bremer.
„Also wird er die Kühlung erst vorgenommen haben, nachdem er sie getötet hatte. Trotzdem ist es technisch sehr aufwendig, denn sie brauchen flüssigen Stickstoff und müssen sich eine Apparatur bauen, die lediglich die Hände aufnimmt.“
Manzetti rieb sich die Nasenwurzel. „Und das muss er kurz vor dem Fund gemacht haben, denn sonst wird die gewünschte Wirkung von der Umgebungstemperatur kassiert.“
„Er wird also gewusst haben, dass der Zeitungsbote zu dieser Zeit dort vorbeikommt und hat gehofft, dass der Alarm schlagen wird.“
„Richtig. Damit ist Schmidt nicht Täter, sondern nur Teil eines perfiden Plans.“
„Und überhaupt lässt die gesamte Fundsituation eher den Schluss zu, dass wir es mit einem überaus gebildeten Menschen zu tun haben.“ Manzetti setzte sich wieder und rührte den neuen Espresso um.
„Sie meinen wegen Puccini?“
Manzetti nickte.
„Da hätte ich noch was. Das müsste Sie interessieren und es passt zu unserer kleinen Geschichte.“
„Und was sollte das sein?“
„Das Öl an sich“, sagte Bremer.
„Was hat es damit auf sich?“
„Es ist Olivenöl aus der Toskana. Genauer gesagt, aus Lucca.“
„Aus Lucca?“, sagte Manzetti angestrengt. „Bremer, wissen Sie, was Sie da sagen? … Puccini ist in Lucca geboren.“
„Das weiß ich. Obwohl es auch ein Zufall sein kann. Lucchesisches Olivenöl bekommen Sie hier in fast jedem Supermarkt.“
„Da bin ich ganz anderer Meinung. Zufälle gibt es bei derartigen Mördern nicht.“ Manzetti erinnerte sich an unzählige Aufsätze von Ermittlern aus der ganzen Welt, die er in den letzten Jahren immer und immer wieder gelesen hatte. „Wer sich als Mörder solche Mühe gibt, der hat eine Botschaft und die überlässt er nicht irgendwelchen Zufällen. Da stimmt meist jedes Detail, da steckt oft Zwang dahinter. Und auch deshalb glaube ich nicht an die Täterschaft von diesem Schmidt.“
„Vielleicht hat der Zeuge ihn aber doch überrascht.“
„Nein. Wie
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