Havelsymphonie (German Edition)
Richtung Küche entfernte. Dann sah Elliott Silbermann Manzetti direkt in die Augen.
Hatten Oliver Kurz und Silbermann über Manzettis Besuch in der WG reden können? Er hoffte es, weil sonst dieses ganze Spektakel hier nichts wert und bestenfalls unter Karnevalsposse zu verbuchen war.
Aber vielleicht war ja schon etwas passiert. Silbermann wich nun Manzettis Blick nicht mehr aus, was heißen konnte, dass seine Psyche zu arbeiten begann. Hatte sein tiefstes Ich, sein Mörder-Ich, Kontakt aufgenommen, Kontakt zu seinem Jäger? Noch schien er allerdings über genügend Selbstbeherrschung zu verfügen. Aber Manzetti hatte noch eine Trumpfkarte, eine Frau, die Sebastian Hendel ihm empfohlen hatte und die gerade durch die Tür trat.
Sie ging nicht einfach hinein, sie stöckelte wie auf einem Laufsteg auf Manzetti zu und blieb erst an seinem Tisch in einer Pose stehen, die sogar die beiden Streitenden vom Nachbartisch für einen Augenblick ihren Zickenkrieg vergessen ließ.
Als die Schöne sich jedweder Aufmerksamkeit sicher war, gab sie Manzetti sogar die Hand, und das in einer Art und Weise, wie es Marlene Dietrich nicht besser hinbekommen hätte, und der Hauptkommissar war versucht, einen Handkuss anzudeuten. Und er entschloss sich augenblicklich, nachher unbedingt den Intendanten anzurufen, um allumfassende Absolution für seine Zweifel an der Leistung deutscher Schauspielschulen zu erbitten.
Die Dame zog inzwischen unter den Blicken aller Anwesenden einen Handschuh aus, stellte ihre Handtasche vor Manzetti auf den Tisch und entnahm ihr ein silbernes Brillenetui, mit einer Grazie, die kaum mehr zu übertreffen war. Mit einer fast hochadlig zu nennenden Geste setzte sie sich die rahmenlose Brille auf die Nase und sah anschließend zum Tresen.
Sofort zeichnete sich auf ihrem Gesicht tiefes Entsetzen ab. Wie zur Unterdrückung eines Aufschreis presste sie eine Hand vor ihren Mund. Gebannt folgte Manzetti dem Auftritt der jungen Berliner Schauspielschülerin, wurde erst durch das Klacken ihrer flüchtenden Absätze aus seiner Konzentration gerissen und drehte sich blitzschnell zu Silbermann um.
„Na bitte“, sagte er zu sich selbst. „Hab ich’s doch gewusst.“ Mit einem Lächeln schaute er in die weit aufgerissenen Augen der Kellnerin, die gerade eben von ihrem Chef fast über den Haufen gerannt worden wäre.
16
Sein Team saß am Montag mit schlechter Laune und hängenden Köpfen in Manzettis Büro und leckte die Wunden, die Silbermanns Flucht allen gerissen hatte. Sonja und auch Köppen waren zwar vor und hinter der Theaterklause postiert gewesen, aber der Gastwirt war ihnen trotzdem durch die Lappen gegangen. Er war in die Wollenweberstraße gerannt, und als Sonja die Straße endlich einsehen konnte, war er wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Daran änderte auch Manzettis Wutausbruch nichts.
Jetzt trommelte der Hauptkommissar mit den Fingern auf der Tischplatte herum und schwieg. Er fand, dass er im Begriff war, den Fall allenfalls durch schieres Glück aufzuklären, was ihm natürlich nicht sonderlich gefiel. Also musste er sich auf seine deutsche Seite besinnen und endlich Nägel mit Köpfen machen.
Gut eine Stunde später bog ein ziviler Dienstwagen der Brandenburger Polizei in Babelsberg in eine triste Straße ein und hielt vor dem Haus der Familie Reinhard.
Sonja stellte den Motor ab. „Soll ich im Auto warten?“
„Warum? Komm lieber mit rein. Wer weiß, was Reinhard sonst später behauptet. Er hat mich schon einmal belogen und wird uns vielleicht eine neue Geschichte auftischen wollen.“
Die Tür wurde von Frau Reinhard geöffnet, die dann die beiden Polizisten bis in den Garten begleitete. „Manfred, du hast Besuch“, sagte sie so laut, dass er es unmöglich überhören konnte. Mit einem freundlichen Lächeln und der Bemerkung, dass sie üben müsse, zog sie sich ins Haus zurück.
Manzetti machte zwei Schritte nach vorn, bis er mit seinen Schuhen auf dem noch nassen Rasen stand. „Guten Morgen, Herr Reinhard.“ Er wartete auf eine Entgegnung des Hausherrn. Der aber drehte sich nicht einmal um. Er stand zwischen mehreren Rosenstauden und drapierte verfilzte Netze um die Pflanzen, auf die er anschließend Rindenmulch kippte.
„Wie geht es Ihnen?“, versuchte Manzetti erneut, das Gespräch in Gang zu bringen, obwohl er längst darüber unterrichtet war, dass sich der Herzinfarkt letztlich als bloßer Schwächeanfall entpuppt hatte. Deshalb stand der Richter nun ganz gut bei Kräften
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